Herne. Was tun gegen Verschwörungstheorien? Wie Betroffenen helfen? Welche Rolle spielt Attila Hildmann? Psychologe Sebastian Bartoschek im Interview.

Verschwörungstheorien haben in der Corona-Pandemie Hochkonjunktur. Einer, der sich mit dem Phänomen schon lange beschäftigt, ist der Herner Psychologe, Autor und Podcastproduzent Sebastian Bartoschek. Schon im Jahr 2013 schrieb er seine Doktorarbeit zu der Thematik – damals ein „absolutes Außenseiterthema“, erinnert er sich. Im Interview mit der WAZ spricht Bartoschek über die Ursachen von Verschwörungstheorien, den Umgang der Politik mit Corona-Leugnern – und den Wendler.

Verschwörungstheorien boomen in der Corona-Krise. Als jemand, der sich schon sehr lange mit dem Thema beschäftigt – wundert sie das?

Nicht wirklich. Ich finde es eher schade, dass ich mit einigen Prognosen recht behalten habe, für die mich andere vor Jahren für bekloppt erklärt haben. Zum Beispiel habe ich relativ früh prognostiziert, dass es eine Radikalisierung unter Verschwörungstheoretikern geben wird. Jetzt sehen wir bei Demos von Corona-Leugnern teils massive Gewalt gegenüber Andersdenkenden und Pressevertretern.

Bilder von gewaltbereiten Corona-Demonstranten überraschen Sie also ebenfalls nicht?

Mich überrascht eher, wie lax die Exekutive, insbesondere die Polizei, damit umgeht. Wenn Sie sich an die Bilder von Stuttgart 21 erinnern: Da wurde eine ähnlich große Zahl von Menschen relativ harsch angegangen. Das passiert bei Corona-Leugnern nicht. Ich habe bis heute nicht ganz verstanden, was das soll. Die Symbolwirkung für die Leute, die sich an die Regeln halten, ist fatal.

Gewaltsame Proteste gegen die Corona-Maßnahmen vor dem Reichstag in Berlin am 16. Mai 2020: „Die Symbolwirkung für die Leute, die sich an die Regeln halten, ist fatal“, sagt Sebastian Bartoschek.  Foto: Reto Klar / Funke Foto Services
Gewaltsame Proteste gegen die Corona-Maßnahmen vor dem Reichstag in Berlin am 16. Mai 2020: „Die Symbolwirkung für die Leute, die sich an die Regeln halten, ist fatal“, sagt Sebastian Bartoschek. Foto: Reto Klar / Funke Foto Services © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Was ist es an Corona, das Verschwörungsmythen so anzieht?

Gesundheitsbezogene Verschwörungstheorien sind häufig erfolgreich, weil das ein sehr persönliches Thema ist. Corona betrifft den Alltag der Menschen, das Virus erzeugt viel Unsicherheit und Angst. Gleichzeitig gibt es Zusammenhänge, die relativ komplex oder noch nicht geklärt sind. Da ist um Beispiel die Frage nach dem Ursprung des Coronavirus. So entsteht ein idealer Nährboden für Verschwörungstheorien.

Gibt es Charaktere, die in dieser Hinsicht besonders anfällig sind?

Es ist nicht so, dass Verschwörungsglaube aus einem pathologischen Persönlichkeitsbild entsteht. Ein wichtiges Motiv ist die Wiederherstellung von Selbstwirksamkeit. Verschwörungstheorien lassen Menschen den Eindruck gewinnen, dass sie für ihr Schicksal selbst verantwortlich sind und es lenken können.

Inwiefern?

Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie erkranken an Krebs. Daran ist zunächst einmal niemand schuld. Nun können Sie aber eine Verschwörungstheorie heranziehen, die sagt: Dieses Karzinom ist entstanden, weil wir mit Chemtrails, also mit angeblich vergifteten Flugzeugstreifen, besprüht werden. Dann glauben Sie, den Grund für ihr Schicksal zu kennen, und kennen den Feind. Außerdem präsentiert Ihnen die Verschwörungstheorie auch Lösungen. Sie können beispielsweise vermeintlich alternative Heilmethoden einsetzen oder gegen „das System“ aufstehen.

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Wie lässt sich das auf Corona übertragen?

Jeder von uns hat in der Corona-Pandemie Einschränkungen erlebt, die ihn belastet haben. Viele fühlten sich ungerecht behandelt und hatten Sorgen. Teils war das berechtigt, teils geschah es aber eben ohne das Verständnis, warum die Maßnahmen nötig waren. Da ist es für manche Menschen einfacher zu sagen: „Es ist falsch, dass man unsere Grundrechte einschränkt. Vielleicht stimmt die offizielle Lesart gar nicht, vielleicht ist Corona doch gar nicht so schlimm.“

Wie groß ist der Einfluss der rechten Szene auf Corona-Verschwörungstheoretiker?

Die Mehrheit der Corona-Leugner kommt aus der Mitte der Gesellschaft, das sind also keine Extremisten. Aber Verschwörungstheorien sind immer anschlussfähig in extremistische Milieus. Rechtsextreme versuchen natürlich, die Situation für sich zu instrumentalisieren und sind damit teils auch erfolgreich.

Der Herner Psychologe Sebastian Bartoschek kennt sich mit Verschwörungstheorien aus. Er promovierte schon 2013 zu dem Thema.
Der Herner Psychologe Sebastian Bartoschek kennt sich mit Verschwörungstheorien aus. Er promovierte schon 2013 zu dem Thema. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Welchen Effekt hat es, wenn Prominente wie Attila Hildmann oder Michael Wendler sich bei den Verschwörungstheoretikern einreihen?

Das sehe ich sehr kritisch. Es gibt ja Menschen, die mit verschwörungstheoretischem Gedankengut keine Berührungspunkte haben, aber – warum auch immer – den Wendler hören. Die denken dann möglicherweise: „Na ja, wenn der Wendler das sagt, dann könnte da was dran sein.“ Prominente ziehen Verschwörungstheorien aus dem schmuddeligen Dunstkreis. Beim Wendler fällt es mir aber offen gestanden schwer, irgendetwas ernstzunehmen. Da fand ich es nachvollziehbarer, warum Leute am Anfang auf Attila Hildmann angesprungen sind. Der hatte als veganer Koch ja zunächst einen sehr positiv besetzten Markenkern.

Wie bewerten Sie die Rolle der sozialen Medien im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien?

Sie sind sind Katalysatoren. Natürlich bestehen die Theorien auch ohne soziale Medien. Aber mit ihnen können Verschwörungstheoretiker Gleichgesinnte finden, können ihre ideologischen Positionen austauschen. Außerdem können sie sich gegenseitig bei der Organisation helfen. In einer Telegram-Gruppe kann man heute den Sturm auf Berlin vorbereiten. Das wäre früher nicht so einfach möglich gewesen.

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Angenommen, ich habe einen Verschwörungstheoretiker in meinem nahen Umfeld. Sollte ich versuchen, ihn zu überzeugen, oder dringe ich sowieso nicht zu ihm durch?

Das ist schwierig. Sie müssen sich zunächst fragen, wie wichtig Ihnen die Person ist. Grundsätzlich würde ich immer empfehlen: Versuchen Sie, freundlich zu bleiben, seien sie aber klar in Sprache und Benennung. Sie sollten der Person außerdem signalisieren, dass Sie für sie da sind. Verschwörungstheoretiker bewegen sich teilweise in sektenähnlichen Strukturen. Da sollte man zwar kritisch sein, der Person aber auch die Möglichkeit geben, zurückzukehren.

Was kann die Politik tun?

Zum einen müsste es mehr Beratungsstellen zu der Thematik geben. Zum anderen ist die Politik in der Pflicht, Extremisten als solche zu benennen und nicht in den Diskurs mit ihnen zu gehen. Die Gewalt auf der Straße gehört konsequent unterbunden. Da fällt es der Politik seit anderthalb Jahren schwer, klare Kante zu zeigen.

>>> Zur Person

  • Sebastian Bartoschek ist am 20. August 1979 in Recklinghausen geboren und hat dort gelebt, bis er vor 15 Jahren mit seiner jetzigen Frau in Herne zusammenzog. Er schätzt vor allem die Innenstadt und die gute Verkehrsanbindung.
  • In Herne sitzt auch sein Unternehmen Institut Bartoschek, das zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Der Fokus liegt auf gutachterlichen Aufgaben in familienrechtlichen Zusammenhängen und psychodiagnostischen Fragestellungen.
  • Bartoschek ist verheiratet und hat zwei Söhne, drei und acht Jahre alt. Er ist leidenschaftlicher Fan von Schalke 04. Neben seiner Gutachtertätigkeit ist er als Journalist und Autor tätig. In der Vergangenheit hat er außerdem mehrere Podcasts produziert, darunter den „Bartocast“.