Die Polizei in Herne und Wanne-Eickel registriert vermehrten Widerstand gegen ihre Vollstreckungsbeamten.
Der Kreisvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Holger Richter, spricht von einem „starken Trend”: Einsatzkräfte seien immer häufiger „mit Leib, Leben und Gesundheit gefährdet”. Richter verbindet einen Appell an die Besonnenheit von Bürgern mit der Kritik an vergangene Personalkürzungen des Landes.
Zur Statistik: Zählte die Polizei im Jahr 2007 48 Fälle, in denen Herner Bürger strafbaren Widerstand gegen die Staatsgewalt leisteten, waren es im vergangenen Jahr 77 und damit deutlich mehr. In diesen Zahlen, so Richter, seien nicht mal alle Übergriffe enthalten. Sie seien nur Ausdruck von Übergriffen bei der Vollstreckung der Staatsgewalt, so etwa bei Durchsuchungen oder bei der Feststellung von Personalien. Nicht präzise erfasst seien etwa Beleidigungen, Drohungen, Rempeleien und Körperverletzungen, die ohne einen Akt der Vollstreckung zur Anzeige gebracht worden seien. So komme es vor, dass ein Streifenbeamter draußen im Einsatz angespuckt werde. Ein „riesiges Dunkelfeld” sei die psychische Gewalt, der sich Polizeibeamte ausgesetzt sähen: ein provokantes Ausspucken vor einem Polizisten, ein „Bullenschweine”, andere verbale Aggressionen . . .
Auf der Herner Maikundgebung hatte Richter jüngst „die Überzeugung vieler Polizeibeschäftigter” wiedergegeben, dass aus dem Slogan „Die Polizei, Dein Freund und Helfer” mehr und mehr ein unliebsames Motto werde: „Freundchen, ich helfe dir!” Der viel zitierte „sichere Arbeitsplatz” für Polizisten werde insbesondere in Krisenzeiten „zum unkalkulierbaren Risiko für Leib und Leben, wenn die Polizei zwischen Volkszorn und Krisenmanagement gerät”. Richter kritisierte die Landesregierung für ihre Reformen im Polizeiwesen, die auf schlankere Strukturen zielten. Mit dem Personalabbau der vergangenen Jahre von 40 000 auf 36 000 Beschäftigte bei der Polizei lasse das Land aus finanziellen Erwägungen neben ihren Beamten auch die Bürger in Sachen Sicherheit im Stich. Die jüngste Zusage des Innenministeriums, Neueinstellungen zu forcieren, diene gerade einmal dem demografischen Ausgleich.
Herne fällt bei Übergriffen mit einer ungewöhnlich starken Zuwachsrate ins Auge, insgesamt liegt das Polizeipräsidium Bochum (Bochum, Witten, Herne) mit einer Zunahme von 20 % im Landestrend. In Rücksprache mit der Polizeiinspektion Herne und der Abteilung Gefahrenabwehr berichtet Richter, dass es bei den Vorfällen zwar auffällige Tage gebe (Freitag, Samstag, Cranger Kirmes), aber keine auffälligen Brennpunkte oder quasi rechtsfreien Räume, wie aus Teilen Duisburgs berichtet.
Bis zum 13. April dieses Jahres kam es laut Richter bereits zu 22 Übergriffen auf Polizeikräfte in Herne, dabei stehe der erfahrungsgemäß ereignisreichere Sommer samt Kirmes noch bevor, auch die mit der Wirtschaftskrise verbundenen Ängste und Unsicherheiten würden sich wohl noch negativ auswirken. „Wenn man das hochrechnet”, so der Gewerkschaftsfunktionär, „wird es nicht besser”. Die vermehrten Übergriffe erklärt er sich mit „einem Wertewandel in der Gesellschaft, verbunden mit den untergeordneten Symptomen Alkoholkonsum und Perspektivlosigkeit”. Das Selbstbewusstsein in Teilen der Bevölkerung im Umgang mit der Polizei sei groß, „bei Randgruppen stellen wir fest, dass dieses Selbstbewusstsein in Übermut abgeleitet wird, die Hemmschwelle gegenüber der Polizei sinkt in Richtung Respektlosigkeit”.
Langsam sei es für die Polizei im Außendienst kritisch, so Richter. Wenn man wegen der zunehmenden Gefahren mit zwei drei, Streifenwagen zum Einsatzort fahren müsse, fehlten diese an anderer Stelle.
Analyse jedes Einzelfalls
Der Leiter der Polizeiinspektion Herne/Wanne-Eickel, Bernd Hendigk, sagte auf WAZ-Nachfrage, den Anstieg der Übergriffe gegen Polizeibeamte zurzeit zu analysieren, „um alles zu tun, damit wir erst gar nicht Zielscheibe der Gewalt werden”.
Der prozentuale Anstieg (mehr als 60 %) innerhalb eines Jahres sei für ihn weniger relevant als die Betrachtung jedes Einzelfalles samt Einsatzlage. Es gebe nicht „das heiße Packende”, an dem die Polizei ansetzen könne, um den Trend zu Gewalt gegen die Staatsgewalt zu stoppen. „Die Kollegen sind in der unmittelbaren Konfrontation, da ist eine erhöhte Wachsamkeit immer nötig”, so Hendigk. Trotzdem hofft er, aus der Einzelfallanalyse Hilfestellungen für kommende Einsätze herausfiltern zu können. Diese könnten dann gegebenfalls in der Einsatzvorbereitung und -taktik oder in Schulungen an die Kollegen herangetragen werden.
Eine soziologische Erklärung für die vermehrten Übergriffe wolle er nicht versuchen. Erkenntnis aber sei, dass Übergriffe sich dann häuften, wenn die Polizei es mit Randalierern, Ruhestörern und alkoholisierten Menschen zu tun bekomme.
„Das Jahr 2009”, so Hendigk, „wird spannend werden. Dann wird sich zeigen, ob sich der Trend bestätigt.”