Herne. Auf einer Karnevalssitzung hat ein anzüglicher Spruch einen Eklat verursacht. Was im Karneval geht, was nicht, sagt Hernes HeKaGe-Chef Kai Gera.
In St. Augustin bei Bonn hat der Präsident der Prinzengarde für einen Eklat gesorgt, weil er bei einer Karnevalsveranstaltung eine Kinderprinzessin auf unangemessene Weise angesprochen hat. Was ist im Karneval erlaubt, was nicht? Darüber sprach die WAZ mit Kai Gera (55), zweiter Vorsitzender der HeKaGe, der Herner Karnevalsgesellschaft.
Der Präsident der Prinzengarde St. Augustin hat bei einer Karnevalsveranstaltung auf dem Podium zur zehnjährigen Kinderprinzessin gesagt: „Endlich kann ich mal mit dir knutschen, ohne dass deine Mutter schimpft.“ Das hat bundesweit große Proteste ausgelöst, der Präsident musste abtreten. Richtig so?
Ja, selbstverständlich. Dieser Spruch geht überhaupt nicht, er ist ein absolutes No-Go. Dass so was überhaupt möglich ist, mir fehlen da wirklich die Worte. Selbst wenn das ein Ausrutscher gewesen ist: Das darf einfach nicht passieren. Es gibt einen gesunden Menschenverstand, und es gibt ein Jugendschutzgesetz.
Der Präsident rechtfertigte sich anschließend damit, dass er zwar „knutschen“ gesagt, aber „bützen“ gemeint habe, also den Wangenkuss im rheinischen Karneval. Macht es das besser?
Nein. Wenn man im Karneval öffentlich auf der Bühne steht, dann muss man sich schon vorher überlegen, was man sagt. Und wir reden hier über ein zehnjähriges Mädchen. Da darf man als erwachsener Mensch nicht so einen Spruch ablassen.
Und Bützchen an Kinder verteilen schon mal gar nicht.
Genau. Natürlich gehört das Bützen zum Karneval dazu. Wenn ein Orden verliehen wird, dann gibt’s vom Prinzen oder von der Prinzessin einen Bütz dazu. Aber nicht bei Kindern. Da wird nicht gebützt. Auch andersherum nicht: Wenn unsere Kinderprinzessin Orden an Erwachsene verteilt, dann sagen die artig Danke schön für diese Auszeichnung - und das war es dann. Als Erwachsener muss man einfach wissen, was man machen darf und was nicht. Was aber nicht heißt, dass die Kinder untereinander keine Bützchen verteilen. Das kommt immer wieder vor.
Sprechen Sie bei der HeKaGe darüber, was erlaubt ist und was nicht?
Das machen nicht nur wir. Unsere Dachverbände, darunter Bund Deutscher Karneval oder Bund Ruhr-Karneval, leisten viel Aufklärungsarbeit, sie informieren dabei etwa über richtiges Verhalten in der Jugendarbeit. Da wird viel gemacht, gelehrt, geschult. Jugendleiter müssen außerdem ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Wir von der HeKaGe führen vor der Session auch immer eine erweiterte Vorstandssitzung durch, wo wir alles Wichtige durchgehen. Auch das Jugendschutzgesetz ist dann Thema. Im Karneval wird also viel Wert draufgelegt, dass das alles vernünftig und gesittet abläuft. Dass dennoch Fehler passieren, kann man aber gar nicht abstreiten.
Auch bei der HeKaGe? Gab es schon mal einen ähnlichen Vorfall wie in St. Augustin?
Nein, nie. Und ich bin jetzt seit über 30 Jahren dabei. Der Karneval in Herne läuft gut und ist auch immer gut gelaufen. Gott sei Dank.
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Sie sagen, dass Bützchen bei Erwachsenen dazugehören. Sind die noch zeitgemäß, Stichwort: „Me too“?
Ja, ich finde schon. Wir sprechen ja hier über Bützchen bei Ordensverleihungen oder ähnlichen Anlässen. Das gehört dann dazu. Auch bei uns Karnevalisten im Verein ist das üblich, wenn man sich begrüßt und gut kennt. Was darüber hinaus passiert, da muss jeder selbst gucken. Ich jedenfalls falle nicht jedem um den Hals, der mir über den Weg läuft. Und will das umgekehrt auch nicht. Bützchen und Umarmungen gibt es insgesamt aber weniger als früher. Das hat aber mehr mit Corona als mit Me too zu tun. Viele Menschen wollen mehr Abstand.
Sind die Menschen heute dennoch sensibler? Wäre so eine Geschichte wie in Sankt Augustin vor 20, 30 Jahren noch als Kavaliersdelikt durchgegangen?
Das ist eine gute Frage. Da müsste ich spekulieren. Ich kann nur für mich und uns sprechen: Ich zähle mich zu einem Karnevalisten, der relativ professionell Karneval betreibt, der das Brauchtum Karneval pflegt, der einem Verein vorsteht, der viel Wert auf Jugendarbeit legt. Da wäre das auch damals nicht passiert.
Beim Karneval geht es um Frohsinn, Spaß, aber auch Ausgelassenheit. Gibt es auf den Bühnen von heute zu viele derbe Sprüche, Witze unter der Gürtellinie? Hat sich da nicht manches überlebt?
Nein. Die Büttenredner sind in den gängigen Sitzungen, was das angeht, eher human. Sie sollen ja austeilen und ihren Finger in Wunden legen. Dabei nehmen sie aber in der Regel die Politik aufs Korn. Derbe unter die Gürtellinie geht da eigentlich niemand. Es gibt natürlich die Herrensitzung oder die Damensitzung, da sieht‘s dann auch mal ein bisschen anders aus.
Nochmal zum Stichwort „Me Too“: Hat die Bewegung den Karneval verändert?
Der Karneval hat sich generell verändert – aber nicht durch Me Too. Es stimmt schon: Er ist allgemein vielleicht ein bisschen gesitteter als früher. Wenn ich unseren Karneval in Herne betrachte, ist das aber der falsche Ausdruck. Bei uns hat sich nicht viel verändert. Der Karneval allgemein ist professioneller und moderner geworden, auch bei der HeKaGe. Für uns als Organisatoren bedeutet das viel mehr Arbeit. Wenn man Programme gestaltet, müssen sie viel professioneller sein. Das sind heute regelrechte Shows, sauber strukturiert und durchgetaktet, LED-Wand inbegriffen. Früher gab’s eine Holzbütt auf der Bühne und das war’s.
>>> Zur Person: HeKaGe-Vize, Versicherungsfachmann, Ratsherr und Bürgermeister
Die Herner Karnevalsgesellschaft „Grün-Weiß-Rot“ – kurz HeKaGe - wurde 1953 gegründet. 1955 kam eine Funkengarde hinzu, 1957 fand der erste Rathaussturm statt, 1988 der erste Rosenmontagszug, 1999 die erste Damensitzung. Der Verein hat mehrere Garden. In diesem Jahr regiert Michael II. Das Narrenvolk.
Kai Gera ist seit zehn Jahren 2. Vorsitzender und Vize-Präsident der HeKaGe, vorher war der Geschäftsführer. Im Verein ist er seit 1992. Karnevalsprinz war er zweimal: 1993/94 und 2007/08. Beruflich ist Gera Versicherungsfachmann. Für die SPD sitzt er im Rat der Stadt, außerdem ist er 1. Bürgermeister von Herne. Der 55-Jährige ist verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt in Herne-Süd.