Herne. Nirgendwo in NRW machen E-Autos einen so kleinen Anteil aus wie in Herne. Aber was hält ausgerechnet Herner vom Umstieg auf Elektroautos ab?

Nirgendwo sonst in Nordrhein-Westfalen waren zum Jahresanfang so wenige Elektroautos angemeldet wie in Herne. Gleichzeitig ist der Anteil von Benzinern so groß wie in keiner anderen kreisfreien Stadt und keinem Landkreis in Deutschland. Woran das liegt, ist offen. Aber es gibt die Vermutung, dass mehrere Voraussetzungen für den Kauf von E-Autos schlechter sind als anderswo.

  • E-Auto-Anteil in Herne nur bei 1,2 Prozent
  • 72,4 Prozent Anteil von Benzinern an allen zugelassenen Autos in Herne
  • Mehrere Theorien für Zurückhaltung in Herne

+++ Posse: E-Autos dürfen vor Ladesäule in Herne nicht halten +++

Gerade einmal 913 reine Elektro-Autos weist das Kraftfahrtbundesamt zum 1. Januar für Herne aus – auf insgesamt knapp 79.000 Fahrzeuge. Das ist ein Anteil von gerade einmal 1,2 Prozent. Im Landesschnitt ist der Anteil ungefähr doppelt so hoch. Beim Anteil von reinen Benzinern ist Herne dagegen bundesweit an der Spitze. Der Anteil an allen zugelassenen Autos beträgt nach einer Auswertung der Deutschen Presseagentur 72,4 Prozent. Für den hohen Anteil an Benzinern im Vergleich zum Diesel liefert das Kraftfahrtbundesamt gleich die Erklärung mit: Je ländlicher und je weiter die Strecken, desto mehr lohne sich im Vergleich zum Benziner der Diesel. Aber warum gibt es so wenige E-Autos?

These 1: Nicht ausreichende oder schlecht platzierte Lademöglichkeiten

Fehlt die passende Infrastruktur mit Lademöglichkeiten und hält Käufer ab? „Wir tun viel gemeinsam mit der Stadt, um den Ausbau voranzubringen“, sagt Stadtwerke-Sprecherin Angelika Kurzawa. Die Stadtwerke betreiben mittlerweile an 37 Ladestationen 74 Ladepunkte. Insgesamt sind für Herne 85 öffentliche Ladepunkte ausgewiesen – 55 auf 100.000 Einwohner. Der Ausbau hat nicht gestoppt. Es gibt 16 Ladepunkte mehr als ein Jahr vorher. Man müsse aber wohl „Kaffeesatzleserei“ betreiben, um die wahren Gründe für den Nicht-Kauf zu kennen, sagt Kurzawa.

Die Stadt Herne hatte sich Anfang des vergangenen Jahres von der Strategie verabschiedet, langsamere Wechselstromlader mit 11 KW Leistung in die Fläche zu bringen. Man setze eher auf Schnellladeparks. Dortmund zum Beispiel hatte dagegen jüngst erst knapp 400 Laternen mit langsameren Ladepunkten ausgestattet, um beispielsweise Anwohnern über Nacht das Laden zu ermöglichen. In Dortmund gibt es laut Netzagentur 633 öffentliche Ladepunkte – 91 auf 100.000 Einwohner.

These 2: Die Struktur der Wohnbebauung

76 Prozent der Wohnungen befinden sich in Herne in Mehrfamilienhäusern, wo eine Lademöglichkeit nicht so einfach zu installieren ist. „Die meisten E-Autofahrer haben eine Wallbox zu Hause“, sagt Angelika Kurzawa. „Das ist mittlerweile ein so etablierter Standard, dass wir den Bestellprozess bei uns komplett digitalisieren konnten.“ Nur ohne eigenes Haus kann man kaum eine Box installieren. Zum Vergleich: Im NRW-Schnitt befinden sich nur 54,5 Prozent der Wohnungen in Mehrfamilienhäusern. Als Kommune wolle man „die Fahrzeugwahl der Bürgerinnen und Bürger nicht bewerten“, heißt es von Stadtsprecherin Carina Loose.

Er denke an die geplanten zentralen Quartiersparkplätze, um die Situation zu verbessern, sagt Roberto Gentilini (SPD), Vorsitzender des Verkehrsausschusses. „Das würde sich optimal ergänzen, um dort auch Ladestationen vorzuhalten.“ Er erhoffe sich auch vom Ausbau der Digitalisierung deutliche Verbesserungen.

These 3: Zu wenig Einkommen, um den Anschaffungspreis zu bezahlen

Die Menschen in Herne verdienen nach einer Statistik des Landes vergleichsweise wenig Geld. Demnach belegt Herne beim durchschnittlichen Einkommen der Lohn- und Einkommenssteuerpflichtigen in NRW den 393. Platz von 396 Plätzen. Elektroautos rentieren sich zwar mittel- und langfristig gegenüber den meisten Verbrennern, aber der höhere Anschaffungspreis muss erst einmal vorfinanziert werden. Andere Städte haben selbst kleinere Förderprogramme aufgelegt, um zumindest kleine Anreize zu schaffen. Das plant Herne nicht und sieht dabei den Bund in der Pflicht: „Weitere Fördermaßnahmen werden nicht von Seiten der Kommune, sondern vom Bund aufgelegt“, sagt Carina Loose und verweist auf den stetigen Ausbau der Ladeinfrastruktur. Roberto Gentilini fordert, dass der Bund finanzschwache Kommunen mehr unterstützen müsse als andere.

Ein E-Auto lädt auf an der Ladesäule vor dem Rathaus in Herne.
Ein E-Auto lädt auf an der Ladesäule vor dem Rathaus in Herne. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

These 4: Weniger Neuwagenbestellungen

Man erlebe in Herne „eine höhere Preissensibilität“ der Kundinnen und Kunden beim Neuwagenkauf, bestätigen große Autohäuser. Tatsächlich werden in Herne verhältnismäßig viele Gebrauchtwagen gehandelt. Gut 12.000 waren es zum Zeitpunkt der bislang letzten statistischen Auswertung im Jahr 2021. Unter den Gebrauchtwagen spielen E-Autos aber bislang fast überhaupt keine Rolle. „Ich habe bis jetzt noch nie Elektroautos gekauft und verkauft“, sagt Händler Wissam Chahine, der an der Juliastraße mit Gebrauchtwagen handelt. Es gebe zwar Kunden, die gebrauchte E-Autos loswerden wollen. Beim Renault Zoe zum Beispiel sei aber die Batterie oft separat geleast. Das verkompliziere später den Verkauf. So etwas kaufe er nicht an. „Wir haben auch selten Nachfragen.“ Chahine prognostiziert, dass aber ab 2025 auch auf dem Gebrauchtwagenmarkt viele E-Autos zu haben sind.

These 5: Statistische Gründe

Die Zahlen verändern sich ständig. Nur wenige Monate nach Jahresanfang sind bereits 1105 Elektroautos in Herne gemeldet. Bei den geringen Zahlen macht bereits ein großes Unternehmen, das seine Dienstwagen-Flotte elektrifiziert, einen Unterschied aus. In Herne sitzen auch keine großen Mietwagenanbieter mit höheren E-Auto-Anteilen. Viele Händler haben wegen der langen Lieferzeiten auch Bestellungen offen.