Herne. Das Rathaus in Herne hat zwei Belvona-Häuser für unbewohnbar erklärt. Mieterverein-Anwältin Jessica Dierkes über die Dramatik für die Mieter.

Die Stadtverwaltung Herne hat zuletzt zwei Häuser der Belvona-Wohnanlage an der Emscherstraße in Wanne wegen teils „lebensgefährlicher Zustände“ für unbewohnbar erklärt und geräumt. Einige der Mieter sind Mitglieder beim Mieterverein Herne. Dessen Rechtsanwältin Jessica Dierkes spricht im Interview mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann über die dramatische Situation für die Mieter und über das Verhalten von Belvona.

Frau Dierkes, die Erklärung der Unbewohnbarkeit ist der vorläufige Höhepunkt der Probleme in der Wohnanlage an der Emscherstraße. Seit wann ist die Anlage beim Mieterbund auffällig?

Schon seit Jahren, also bereits in jener Zeit, als dort noch Altro Mondo in der Verantwortung stand. Die Probleme begannen mit den Betriebskostenabrechnungen. Die Mieter haben deutliche Veränderungen festgestellt und haben sich an den Mieterbund gewandt, um die Abrechnungen überprüfen zu lassen. Außerdem gab es starke Ausreißer bei den Preisen, die Wohngebäudeversicherung wurde plötzlich deutlich teurer. Oder Hausmeistertätigkeiten tauchten auf den Abrechnungen auf, doch die Mieter teilten uns mit, sie hätten nie einen Hausmeister gesehen. Man kann den Eindruck bekommen, dass aus solchen Objekten möglichst viel herausgesaugt werden soll, ohne etwas hineinzustecken.

Waren Ihnen die Probleme, die zur Unbewohnbarkeit geführt haben, bekannt?

Ja. Uns ist seit vielen Monaten bekannt, dass an der Emscherstraße 82 die Heizung defekt ist. Das haben uns mehrere Mitglieder berichtet. Wir haben daraufhin dem Vermieter schriftlich mitgeteilt, dass ein Mangel vorliegt und dass es Feuchtigkeitsschäden gibt. In einigen Fällen haben wir schon im November 2021 auf diesen Mangel hingewiesen, im April 2022 haben wir eine Mietminderung geltend gemacht. Wir haben auf eine Beseitigung des Mangels gepocht, was aber offensichtlich nicht passiert ist. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Gebäude jahrelang vernachlässigt worden sind. Und es gibt ja weitere Gebäude in dem Wohnkomplex.

Jessica Dierkes ist Anwältin für den Mieterverein Herne. Sie hält das Verhalten von Belvona für grob fahrlässig.
Jessica Dierkes ist Anwältin für den Mieterverein Herne. Sie hält das Verhalten von Belvona für grob fahrlässig. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Haben Sie überhaupt eine Antwort vom Vermieter bekommen?

Nein, mit Blick auf die Mängel gab es keine Antwort und keinerlei Kommunikation mit dem Vermieter.

Für wie dramatisch halten Sie die Situation, die durch die Erklärung der Unbewohnbarkeit entstanden ist?

Die Leute wissen nicht, wohin. Das Problem der Mieter ist: Sie haben zwar einen Anspruch gegen den Vermieter, zum Beispiel auf Erstattung der Hotelkosten, Umzugskosten oder Renovierungskosten. Aber dafür müssen die Mieter in Vorkasse gehen. Doch wenn man kein Geld für ein Hotel hat, hat man keine Unterkunft, wenn man nicht von jemandem aufgenommen wird. Gerade die alten und kranken Mieter wollen ja gar nicht ausziehen, weil man so schnell auch keine andere Wohnung findet. In einem Fall war es so, dass ein Sohn Wache geschoben hat, weil die Familie Angst davor hatte, dass das Haus geplündert wird. Die Mieter mussten ja zunächst ihr ganzes Hab und Gut zurücklassen, nachdem die Stadt Herne die Häuser für unbewohnbar erklärt hatte. Die Menschen stehen praktisch vor dem Nichts: Sie brauchen eine Ersatzwohnung, aber wenn man alt und krank ist, kann man den Umzug nicht allein bewältigen. Und es hat ja nicht jeder 1500 Euro übrig, um so einen Umzug zu bezahlen. Und wir wissen vom Vermieter nicht, dass er auch nur einem unserer Mitglieder entgegenkommen wird.

Wie bewerten Sie das Verhalten des Vermieters?

Es ist bezeichnend, dass der Vermieter auf keine Mangelanzeige reagiert hat. Wir haben in manchen Fällen mehrmals geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten. Dieses Verhalten halte ich für grob fahrlässig, wenn der Vermieter im April erfährt, dass die Heizung nicht funktioniert und dann sieben Monate lang nichts macht. Da frage ich mich: Warum geht ein Vermieter so vor? Das was auf der Internetseite präsentiert wird, steht im krassen Gegensatz zur Realität. Ich bin natürlich keine Bausachverständige, aber es könnte der Anschein entstehen, dass die gesperrten Gebäude inzwischen Schrottimmobilien sind.

Sehen Sie Chancen auf Verbesserungen?

Wenn dort keine entsprechenden Maßnahmen ergriffen werden, nicht. Schließlich spricht die Stadt von Gefahr für Leib und Leben. Mit der Reparatur der Heizungsanlage ist es ja nicht getan, es gibt Wasserschäden, es gibt Schimmel. Angesichts der Dinge, die uns geschildert worden sind und die wir auf Fotos gesehen haben, kann ich mir nicht vorstellen, dass dort in absehbarer Zeit jemand wieder einziehen kann. Die Erklärung der Unbewohnbarkeit ist ja die Ultima Ratio.

Muss vor dem Hintergrund dieses Falls nicht die Gesetzgebung, wie das Wohnraumstärkungsgesetz, verschärft werden?

Man könnte darüber nachdenken, dass die Pflicht zur Beseitigung von Mängeln verschärft wird, sodass die Beseitigung angeordnet werden kann. Wenn jemand ohne Baugenehmigung gebaut hat, kann die Stadt ihn ja auch bei Vorliegen der Voraussetzungen verpflichten, das Objekt wieder abzureißen. Meine Idealvorstellung wäre die Einführung eines Immobilienbesitzerführerscheins.

>>> HERNE STEHT IM AUSTAUSCH MIT DEM LAND

Herne steht mit den Problemen des Belvona-Objekts nicht alleine da. Erst Ende November habe ein Austausch mit dem zuständigen NRW-Bauministerium zur Problemlage Belvona stattgefunden. An diesem Austausch hätten mehrere Kommunen teilgenommen und vielfältige Problemlagen geschildert. Das Ministerium bestätigt auf Anfrage der Herner WAZ-Reaktion, dass man sich intensiv mit den Geschäftspraktiken der Unternehmensgruppe befasse. Die neu gegründete Belvona habe in zahlreichen Fällen die Immobilienverwaltung von Altro-Mondo-Beständen übernommen. Beide Firmen gehören laut Ministerium zur DEGAG-Konzerngruppe.