Herne. Nach einem Raub mit Pfefferspray-Einsatz beschrieb die Herner Polizei den Täter mit dem Begriff „osteuropäisches Aussehen“. Doch was ist das?
Einen Überfall auf einen Wanner Getränkemarkt an der Berliner Straße hat die Polizei am vergangenen Sonntag gemeldet. In der Beschreibung des flüchtigen Täters – er hatte ein Messer gezogen und einen Mitarbeiter verletzt – führte die Pressestelle der Polizei neben der Statur, der Kleidung und auffälligen Tattoos auch den Begriff „osteuropäisches Aussehen“ an. Nur: Was ist eigentlich ein „osteuropäisches Aussehen“? Und welche Merkmale kennzeichnen ein solches Aussehen?
Das kann die Herner Polizei auf Anfrage der WAZ nicht erklären. Frank Lemanis, Sprecher des (für Herne zuständigen) Polizeipräsidiums Bochum, stellt es so dar: „Da wir als Polizei in den meisten Fällen keinen persönlichen Kontakt zu den Tätern haben, müssen wir uns auf die Personenbeschreibungen reduzieren, die uns die Geschädigten oder Zeugen gegenüber machen.“ Für die Pressemitteilungen würden diese Formulierungen „eins zu eins“ übernommen, da sich „für uns als Polizei eine eigene Interpretation der durch andere Personen gemachten Beschreibungen meines Erachtens verbietet“. Das gelte nicht nur fürs „osteuropäische Aussehen“, sondern auch für den „südländischen Typ“, so Lemanis.
Dieser Täter-Typ findet sich noch häufiger in behördlichen Pressemeldungen über Straftaten als der „Osteuropäer“. So in Herne zuletzt vor zehn Tagen, als ein Mann „mit einem goldenen Fahrrad“ auf der Wanner Hauptstraße in der Nacht einen Bürger ausrauben wollte und ihn mit Pfefferspray attackierte. Die Täterbeschreibung in der Mitteilung der Polizei: „20 bis 30 Jahre alt, ,südländisch’ und mit kurzen Haaren“.
Expertin spricht von Diskriminierung
„Der Südländer“ – für die Germanistin Clara Ervedosa ein diskriminierendes Wort, das jedes Mal Diskriminierung reproduziere, wie sie in einem Interview mit dem „Spiegel“ ausführte. Mit „Südländer“ werde ein bestimmtes Aussehen beschrieben: dunkle Haare, schwarze Augen, nicht weiße Haut. Verschiedene Menschen mit sehr unterschiedlichen Herkünften würden in einer Gruppe ethnisiert, so die Sprachwissenschaftlerin. „Darüber hinaus werden mit diesem Begriff bestimmte Vorurteile verknüpft: ,Der Südländer’ ist an sich kriminell, impulsiv, ein Frauenheld. Das Wort transportiert nur Stereotype.“
Und was sagt das NRW-Innenministerium zu „Südländern“ und „Osteuropäern“? Ein Sprecher des für die Polizei zuständigen Ministeriums erklärt auf WAZ-Anfrage: „Bei den in den Pressemitteilungen enthaltenen äußerlichen Täterbeschreibungen handelt es sich um bundesweit mit dem Bundeskriminalamt abgestimmte Fahndungskriterien. Durch diese sogenannten Phänotypen werden die äußerlichen Merkmale der Haar-, Haut- und Augenfarbe präzisiert. Dadurch soll eine effektive Fahndung nach gesuchten Straftätern sichergestellt werden.“
Innenministerium: Beschreibungen stehen nicht im Widerspruch zum gültigen Erlass
Diese Beschreibungen von Tätern bzw. Tatverdächtigen im Sinne von „osteuropäisches“, „südländisches“ oder „asiatisches“ Aussehen widerspreche im Übrigen auch nicht dem aktuell gültigen Erlass zur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Polizei Nordrhein-Westfalen. Der Sprecher räumt zumindest ein: „Gleichwohl macht die von Ihnen aufgeworfene Frage deutlich, dass sich hieraus Probleme wie das Bedienen von Stereotypen ergeben können, weshalb es hier im Einzelfall abzuwägen gilt.“
Antworten, bei denen sich einige Fragen aufdrängen: Warum werden Zeugen oder Opfer von Straftaten nicht einfach gebeten, von ihnen gewählte Beschreibungen wie „südländisches“ oder „osteuropäisches“ Aussehen zu konkretisieren“? Und: Wäre das nicht ein geeignetes Mittel, um Stereotypen oder Diskriminierungen zu verhindern? Nicht zuletzt: Würden genaue Angaben über äußere Merkmale wie Haut- oder Haarfarbe oder über einen Akzent nicht auch die Effektivität der Fahndung erhöhen?
>>> Straftaten: Reul hält an Forderung nach Nennung der Nationalität fest
Die Polizei in NRW soll die Nationalitäten von Tatverdächtigen öffentlich nennen. Mit diesem Vorhaben hat NRW-Innenminister Herbert Reul Ende 2019 bundesweit Schlagzeilen gemacht. Bürgerinnen und Bürger bräuchten keine Bevormundung durch Behörden, sondern sollten sich selbst ein Bild machen können, so sein Argument.
Diese Forderung stieß damals nicht nur bei anderen Bundesländern wie Niedersachsen auf Kritik, sondern selbst in den eigenen Reihen. Die von Reul verkündeten Pläne wurden in NRW nicht umgesetzt, weil sich neben dem Koalitionspartner FDP auch das CDU-geführte Justizministerium widersetzte, so hieß es.
Und heute? In NRW gilt für die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei nach wie vor ein Erlass aus dem Jahr 2011, der das Nennen der Nationalität von Tatverdächtigen nicht beinhaltet. Hält Herbert Reul auch in der schwarz-grünen Landesregierung an seiner Forderung fest? „Das Ansinnen der Veröffentlichung der Nationalität hat weiterhin Bestand. Es gilt der Herstellung von Transparenz über begangene Straftaten in der Öffentlichkeit“, so der Ministeriumssprecher zur WAZ. Und: Gespräche dazu sollten „zwischen den beteiligten Ressorts auch in dieser Legislaturperiode fortgesetzt werden“.
>>> Der Deutsche Presserat über Diskriminierung
Im Pressekodex des Deutschen Presserats heißt es in Ziffer 12 (Diskriminierung): „In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt.“
Und: „Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“