Herne. Jörg Lukat ist seit wenigen Wochen Polizeipräsident. Im Interview mit der Herner WAZ erläutert er seine Sicht auf verschiedene Problemlagen.
Das Polizeipräsidium Bochum, das auch für Herne verantwortlich ist, hat seit wenigen Wochen einen neuen Polizeipräsidenten. Jörg Lukat hat die Nachfolge von Kerstin Wittmeier angetreten. Im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann sprach er über das Phänomen der „besorgten Bürger“, die Personalsituation bei der Polizei und das Problem der Wohnungseinbrüche.
Herr Lukat, vor einigen Wochen haben selbst ernannte besorgte Bürger mit „Spaziergängen“ in Herne begonnen. Wie stellt sich dieses Phänomen aus Ihrer Sicht dar?
Lukat: Wenn man es rein sachlich betrachtet, sind diese Spaziergänge nicht nachvollziehbar. Was dort kolportiert wird, nämlich dass die Sicherheit deutlich gefährdet sei und man könne nicht mehr unbeschadet über Herner Straßen laufen, können wir als Polizei überhaupt nicht bestätigen. Die Kriminalstatistik weist aus, dass die Zahl der Taten in sämtlichen Feldern seit zwei Jahren deutlich rückläufig ist. Insbesondere in den Feldern, die für die subjektive Sicherheit relevant sind, also zum Beispiel Wohnungseinbrüche. Auch der aktuelle Stand deutet an, dass die Zahl der Straftaten noch einmal insgesamt sinkt. Deshalb sind diese Spaziergänge und Demos allein durch das Zahlenwerk nicht erklärbar. Herne ist sicher.
Aber woher kommt dann diese subjektive Unsicherheit bei manchen Menschen? Sie kennen diese Vorbehalte: „Das wird ja immer schlimmer“, „da kann man nicht mehr hergehen“.
Neben den Taten, die in der Statistik verzeichnet sind, gibt es Forschungen zum sogenannten Dunkelfeld. Aber die bestätigen das, was wir im Hellfeld sehen. Man wird seltener Opfer von Straftaten. Die „besorgten Bürger“ nehmen sich ein bestimmtes Delikt und tragen das wie eine Monstranz vor sich her und wollen daran festmachen, wie angeblich unsicher alles geworden ist. Wenn jemand immer wieder mit der gleichen Nachricht kommt, kann sich bei manchen Menschen das Gefühl einstellen: Oh, es ist doch unsicher. Dieses Arbeiten mit Urängsten ist eine Taktik, die von rechts außen stehenden Menschen gerne benutzt wird, um dann die Botschaft zu verbreiten: Wir sind die Verteidiger dieses Rechtsstaates. Doch das steht ihnen überhaupt nicht zu. Die „besorgten Bürger“ suggerieren etwas, was nachweislich nicht stimmt.
Aber so groß scheint die Anzahl der „besorgten Bürger“ in Herne ja nicht zu sein, weil es offenbar Schnittmengen zu Gruppierungen aus anderen Städten gibt.
Die Rechtslage und die Verfassung geben es her, sein Anliegen, wenn es nicht strafrechtlich relevant ist, in den öffentlichen Raum zu tragen. Und es gibt eben bestimmte Menschen, die gerne die objektive Lage ignorieren, und auf die Straße gehen. Schön ist dann zu erkennen, dass es einen bunten Gegenprotest gibt.
Bleiben wir bei der subjektiven Sicherheit: Sie haben vor wenigen Wochen erklärt, dass die Personallage bei der Polizei angespannt sei. Werden wir den „Schutzmann“ auch weiter auf den Straßen sehen?
Polizei muss - selbst im digitalen Zeitalter – analog erkennbar und ansprechbar sein. Es ist ein ganz wichtiger Effekt, dass die Menschen wissen, wer ihr zuständiger Bezirksbeamter ist und bei wem man sein Anliegen ansprechen kann. Es bleibt wichtig, dass die Polizei sichtbar ist. Die Personalsituation ist in der Tat im Moment angespannt. Die Stelleneffekte, die wir durch Mehreinstellungen erwarten, werden sich im nächsten Jahr aber auch in Herne bemerkbar machen.
Wie stark wird der Effekt denn sein?
Wir reden nicht davon, dass hunderte Beamte mehr kommen. Erst einmal wird der Zuwachs in kleinerem Rahmen bleiben, im übernächsten Jahr werden die Mehreinstellungen größere Wirkungen haben.
Aber es gehen ja auch Beamte in Pension...
...die Effekte werden aber positiv sein. Die Stellen, die durch den demografischen Wandel wegfallen, werden nicht nur ausgeglichen, es wird einen Pluseffekt geben. Die Polizei wird also sichtbar bleiben. Das ist vor allem auch deshalb wichtig, weil wir auf den direkten Austausch mit den Bürgern angewiesen sind. Sei es durch Notrufe oder Anzeigen. Das Vertrauen kann man nur dadurch hoch halten, dass die Bürger das Gefühl haben, dass die Polizei ein verlässlicher Partner ist. Das gehört übrigens auch mit zur subjektiven Sicherheit.
Vor wenigen Jahren waren noch Tageswohnungseinbrüche eins der drängendsten Probleme. Wie hat sich diese Thematik entwickelt?
Die Zahlen sind deutlich zurückgegangen. In den vergangenen zwei Jahren um 33 Prozent. Die Aufklärungsquote ist auf knapp 28 Prozent gestiegen. Wir haben eine Ermittlungsgruppe eingesetzt, die sich noch intensiver mit den Spuren und den Täterhinweisen befassen kann.
Welche Ursachen gibt es für den Rückgang?
Wir haben massiv in Vorbeugung investiert, also die Beratung von Bürgern. Bei Neubauten haben Fensterscheiben eine ganz andere Qualität. Bei Neubaugebieten schauen wir gemeinsam mit der Stadt, dass es keine dunklen Ecken gibt. Und wir rufen die Bürger auf, frühzeitig Verdächtiges zu melden. Es ist ein bunter Strauß an verschiedenen Maßnahmen.
Die Stadt Herne hat ja eine Respekt-Kampagne gestartet. Wie sieht es mit dem Respekt gegenüber Polizei-Beamten aus?
Wir nehmen seit einiger Zeit wahr, dass Menschen, die in irgendeiner Weise helfen wollen, zum Teil angegangen werden. Ich weiß nicht warum: Aber manche Menschen betrachten diese Helfer als Freiwild. Wir als Polizeipräsidium unterstützen diese Aktion ausdrücklich. Beim großen Bild für die Respekt-Kampagne auf dem Platz vor dem Rathaus waren auch Kolleginnen und Kollegen von uns dabei. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Anliegen, wie man miteinander umgeht.
Wie kann die Polizei diesem Trend entgegenwirken?
Die Kolleginnen und Kollegen stellen bei Beleidigungen Strafanzeigen, und ich werde dann als Behördenleiter zusätzlich einen Strafantrag stellen. Die Polizisten sind kein Freiwild, was behandelt werden kann, wie man möchte. Das sind Menschen, die ihre Haut ein Stück weit zu Markte tragen, um Sicherheit zu gewährleisten.
Dann müssten Sie sich ja auch jedes Mal, wenn Sie an den ACAB-Schmierereien vorbeikommen, aufregen. Mit anderen Worten: Was halten Sie von der Aktion der jungen Polizei-Gewerkschafter, die erreichen wollen, dass Schmierereien verschwinden?
Ich bin jetzt seit 40 Jahren Polizist, und mache keinen Hehl daraus, dass man in manchen Dingen etwas abstumpft. Dieses ACAB habe ich kaum noch wahrgenommen. Hier einfach mal von jungen Kolleginnen und Kollegen dazu gebracht zu werden, noch einmal genau hinzuschauen, da kann ich nur sagen: Die haben recht. Man kann nicht eine ganze Berufsgruppe als Bastarde bezeichnen.
Ein anderes Feld, was in den vergangenen Monaten ins Blickfeld geraten ist, ist die Clan-Kriminalität. Gibt es solche Strukturen auch in Herne?
Mit 17 Jahren ging er zur Polizei
Jörg Lukat (56) trat 1979 mit 17 Jahren in den mittleren Dienst der Polizei ein. Nach der Ausbildung arbeitete der Hertener unter anderem im Streifendienst im Rheinland und im Ruhrgebiet.
Nach mehreren Studiengängen und Fortbildungen übernahm er Führungsaufgaben in verschiedenen Polizeibehörden, unter anderem beim Staatsschutz in Dortmund. Zuletzt leitete er das Referat „Einsatz in besonderen Lagen“ in der Polizeiabteilung des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen.
Lukat ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.
Bei der Clan-Kriminalität geht es darum zu erkennen, wo bestimmte Strukturen für eine Parallelgesellschaft aufgebaut werden. Diese Gruppen sind größtenteils familiär geprägt und sind im gesamten Ruhrgebiet unterwegs. Das auf eine Stadt einzugrenzen fällt ausgesprochen schwer. Wir müssen da einen intensiven Blick haben, zum Beispiel auf Shishabars. Die sind bei Clanstrukturen ein beliebtes Betätigungsfeld.
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