Herne. Hat das Land beim Votum für eine Polizeihochschule in Herne getrickst und manipuliert? Warum eine Prüfbehörde zu einem ganz anderen Ergebnis kam.

Im Februar sickerte durch, dass Herne den Zuschlag für den Neubau der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung erhalten wird. Anfang März legte Konkurrent Gelsenkirchen auf den letzten Drücker ein Veto gegen die Entscheidung des Landes ein. Warum der vom Land ausgerufene Wettbewerb längst als Schlammschlacht bezeichnet werden kann, das wird in einem Papier mehr als deutlich: 36 Seiten umfasst der (nun der WAZ vorliegende) Beschluss der Vergabekammer Westfalen, in dem die unabhängige Behörde so gut wie alle schweren Vorwürfe aus Gelsenkirchen entkräftet und zurückweist. Gelsenkirchen hat bekanntlich gegen diese Bewertung geklagt.

Darum geht es konkret

Bei einer Ausschreibung der Landesregierung für den Neubau der Polizeihochschule hat sich Herne mit den Plänen fürs Funkenbergquartier (Bahnhof) überraschend gegen Gelsenkirchen durchgesetzt, das aktuell (noch) Standort der Landeseinrichtung ist und zu Beginn des Verfahrens nach außen hin sehr siegessicher war. Der für die Nachbarstadt bei diesem 150-Millionen-Projekt ins Rennen gegangene Immobilien-Projektentwickler Kölbl Kruse – in Herne ist der Konzern Hochtief am Start – legte im Laufe des Verfahrens mehrfach (vergeblich) ein Veto ein und stellte dann einen sogenannten Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Westfalen.

Die bei der Bezirksregierung Münster angesiedelte Behörde wies das Ansinnen nach umfassender Prüfung zurück, wogegen Kölbl Kruse nun vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf geklagt hat. Hinter dem Duell der Investoren steht von Anfang an auch der Zweikampf zwischen den Rathäusern. Das Vorgehen Gelsenkirchens, die Entscheidung des Landes immer wieder in Frage zu stellen, hat in Herne Unmut, großes Unverständnis sowie den Vorwurf der „Blockade“ ausgelöst.

Die Vorwürfe aus Gelsenkirchen

Gelsenkirchens Ex-Oberbürgermeister Frank Baranowski erklärte nach der Entscheidung für Herne auf seiner Facebook-Seite: „Warum verwundert mich das bei der gesamten Vorgeschichte dieses Vorhabens nicht?“ Die Kritik richtete sich nicht zuletzt gegen das Hochschulpräsidium.
Gelsenkirchens Ex-Oberbürgermeister Frank Baranowski erklärte nach der Entscheidung für Herne auf seiner Facebook-Seite: „Warum verwundert mich das bei der gesamten Vorgeschichte dieses Vorhabens nicht?“ Die Kritik richtete sich nicht zuletzt gegen das Hochschulpräsidium. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Die Ausschreibung des neuen Hochschulstandortes durchs Land sei ein abgekartetes Spiel gewesen, der Sieg Hernes habe von Anfang an festgestanden. Diesen öffentlich von Gelsenkirchens Ex-OB Frank Baranowski zunächst auf Facebook angedeuteten Vorwurf hat Kölbl Kruse nun vor der Vergabekammer offen geltend gemacht. „Entscheidungsträger“ des Landes hätten ihnen gegenüber erklärt, so brachte es Kölbl-Kruse laut Beschluss der Kammer vor, dass die Entscheidung zugunsten Hernes längst gefallen sei. Und auch darauf wies der unterlegene Bewerber hin: Beim Land sei man überrascht gewesen, dass Gelsenkirchen von dieser „Vorfestlegung“ für Herne nichts gewusst habe.

Mit einer ganzen Reihe von Punkten versuchte der renommierte Projektentwickler aus Essen diese Behauptung zu unterfüttern und den Beweis für ein rechtswidriges Verfahren anzutreten. Vergaberechtsverstöße durch das Land will Kölbl Kruse genauso gesehen haben wie eklatante Fehler bei der Bewertung einzelner Kriterien nach einem Punktesystem sowie (bewusst) irreführende Vorgaben für die Bewerber. Im Übrigen sei das Herner Angebot von Hochtief gar nicht zuschlagsfähig, weil es unzureichend finanziell kalkuliert worden sei und der Bewerber Hochtief nicht den vollen Zugriff auf das Grundstück am Herner Bahnhof habe. Fazit von Kölbl Kruse: Sie seien vom Land in ihren Rechten auf ein wettbewerbliches, transparentes und allen Bietern gleich behandelndes Verfahren verletzt worden. Deshalb müsse das gesamte Verfahren zurückgesetzt werden, damit neue Anträge eingereicht werden könnten.

Die Bewertung der Vergabekammer

Die Vergabekammer aus Münster kam in ihrer Prüfung zu einem anderen Ergebnis. Das von Gelsenkirchen angestrengte Nachprüfverfahren sei „unbegründet“ und sogar „teilweise unzulässig“, erklärt die Behörde in der sehr detaillierten Begründung ihrer Ablehnung. Weder aus der Vergabeakte noch aus den Protokollen zu den Verhandlungsrunden mit den Bewerbern lasse sich die Behauptung belegen, dass Gelsenkirchen bewusst in die Irre geführt worden sei. Belastbare Nachweise lägen nicht vor.

Die Entscheidung sei gemäß des zuvor festgelegten Rahmens getroffen worden, in dem Preis und Qualität jeweils mit 50 Prozent bewertet werden sollten. Herne habe nicht nur bei der Qualität „erheblich“ mehr Punkte erhalten, sondern auch beim Preis ein um rund 15 Prozent günstigeres Angebot abgegeben, so die Vergabekammer. Das Land habe seinen Bewertungsspielraum „fehlerfrei und nicht willkürlich ausgeübt“.

Das Argument des Landes, dass in dem Gelsenkirchener Konzept die vorgegebenen Ziele und der Wunsch nach einer modernen Arbeitswelt nicht hinreichend umgesetzt worden sei, sei nachvollziehbar, so die Kammer weiter. Auch seien im Laufe des Verfahrens nicht nachträglich weitere Unterkriterien für den Qualitätsbereich eingeführt worden, wie Kölbl Kruse es behaupte. Ebenso unzutreffend sei der Vorwurf, dass Vorgaben des Landes nicht eindeutig und konkret gewesen seien.

So geht es weiter

Die Herner Verwaltung geht davon aus, dass die (letztinstanzliche) Entscheidung des von Gelsenkirchen angerufenen Oberlandesgerichts erst im Jahr 2023 fallen wird. Das Gericht wollte gegenüber der WAZ dazu keine Prognose abgeben. Schon jetzt dürfte feststehen, dass der ursprünglich Zeitplan – der Neubau sollte am 1. Juni 2025 ans Land übergeben werden – nicht zu halten ist. Und auch die Preiskalkulation von Hochtief dürfte angesichts der Kostenexplosion in der Baubranche keinen Bestand mehr haben. Was das fürs Verfahren bedeutet, bleibt abzuwarten.

Hochtief kündigte im Verfahren vor der Vergabekammer an, möglicherweise Schadensersatzansprüche gegenüber Kölbl Kruse geltend zu machen. Begründet wird dies unter anderem damit, dass Gelsenkirchen den Nachprüfungsantrag rechtsmissbräuchlich instrumentalisiert habe, um eigene Angebotsdefizite auszugleichen.

>>> Die Botschaft von Hernes OB Frank Dudda

Zum laufenden Verfahren will die Stadt Herne aktuell nicht konkret Stellung nehmen.

Hernes OB Frank Dudda wirft Gelsenkirchen eine Blockade vor und appelliert an die „regionale Verantwortung“ aller Beteiligten.
Hernes OB Frank Dudda wirft Gelsenkirchen eine Blockade vor und appelliert an die „regionale Verantwortung“ aller Beteiligten. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Oberbürgermeister Frank Dudda erklärt auf Anfrage der WAZ, dass er nach wie vor an „die regionale Verantwortung“ aller Verfahrensbeteiligten appelliere. Und: Es gehe darum, „jungen Polizistinnen und Polizisten eine Planungssicherheit für eine adäquate und moderne Ausbildung zu geben“.