Herne. Janine und Björn Jentsch nehmen seit Jahren Kinder in Kurzzeitpflege bei sich auf. Wieso das Ehepaar sein alternatives Familienmodell so schätzt.
- Janine und Björn Jentsch haben mittlerweile mehr als 20 Kinder zur Pflege zeitweise bei sich aufgenommen.
- Die Interkulturelle Kinder- und Jugendhilfe Plan B Ruhr e.V. vermittelt ihnen die Kinder.
- In Herne herrscht ein hoher Bedarf an Pflegeeltern.
Von außen ist das Heim von Janine (40) und Björn Jentsch (45) ein unscheinbares Reihenhaus mit grauer Fassade und gepflastertem Vorgarten – ein pinkes Kinderrad mit Stützrädern steht eilig abgestellt vor der Haustür. Von innen aber ist das Häuschen in Herne-Mitte vor allem eines: ein Zufluchtsort, zumindest auf Zeit. Das Ehepaar hat binnen knapp vier Jahren schon mehr als 20 Kindern ein zu Hause gegeben – als Pflegeeltern.
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Das Paar hat zwei gemeinsame Kinder, als der Wunsch nach einem dritten unerfüllt bleibt. „Da haben wir überlegt, was wir noch für Möglichkeiten haben“, erinnert sich Janine Jentsch. Schnell hat die Adoption gegenüber der Pflegeelternschaft das Nachsehen: „Wir wollten lieber anderen Kindern helfen, die es nötiger haben.“ Bei der Interkulturellen Kinder- und Jugendhilfe Plan B Ruhr e.V. wird das Paar schließlich fündig. Der freie Träger bringt Pflegekinder und Pflegeeltern zusammen. Die Jentschs durchlaufen das Bewerbungsverfahren, werden geschult und lernen, was es bedeutet, Pflegeeltern zu sein – zumindest in der Theorie.
„So richtig vorbereiten kann dich da nichts zu 100 Prozent“, sagt Björn Jentsch. „Am Ende ist die Praxis die beste Schule.“ Viele der Pflegekinder stammen aus schwierigen familiären Verhältnissen oder haben traumatische Erfahrungen gemacht. „Da ist von Drogen- und Alkoholabhängigkeit bis hin zur Vernachlässigung alles dabei“, erklärt Hakki Süngün. Er ist einer von acht Beraterinnen und Beratern bei Plan B, die den Pflegefamilien zur Seite stehen und die Pflegekinder auf ihrem Weg begleitet. „Diese Kinder brauchen ein ganz besonderes Maß an Fürsorge, Liebe und Unterstützung.“
Herner Pflegeeltern: Familienalltag kann auch bitter sein
Dass diese Liebe auch eine bittere Seite haben kann, musste Familie Jentsch erfahren. „Der Abschied von den Kindern kann sehr schmerzhaft sein, man gewinnt sie einfach lieb“, sagt Janine Jentsch. Eine Garantie, dass die Pflegekinder tatsächlich über Jahre bei ihren Pflegeeltern aufwachsen, gibt es nicht. Der kleine O. etwa lebte für rund anderthalb Jahre bei den Jentschs, kam als acht Monate alter Säugling zu der Familie. „Als wir ihn dann abgeben mussten, war das sehr hart.“ Seitdem haben sich die Jentschs kategorisch gegen die Vollzeitpflege entschieden, nehmen nur noch Kinder in der sogenannten Bereitschaftspflege auf. Das Risiko, erneut einen vergleichbaren Verlust zu erleben, sei zu groß. „Gerade bei Babys entsteht unheimlich schnell eine sehr starke Bindung“, so Janine Jentsch.
Im Betreuungsradius von Plan B gibt es derzeit rund 50 Pflegekinder und knapp 40 Pflegefamilien. „Wir haben wirklich Familien aus allen möglichen Nationen, da legen wir auch sehr viel Wert drauf“, erklärt Fachbereichsleiter Vignaraj Shanmugarajah. Damit ein Pflegekind eine geeignete Familie findet, spielen mehrere Faktoren eine Rolle. „Etwa das Alter, hier dürfen die Familien auch Präferenzen angeben“, so Shanmugarajah. Entscheidend sei meist auch, wie viel die Familien in der Lage zu leisten sind. „Manche Kinder sind entwicklungsbeeinträchtigt oder traumatisiert, das ist nicht immer einfach.“
Und dennoch: Tauschen wollen würden die Jentschs nicht. „Es stärkt einen persönlich einfach so sehr, man wächst über sich hinaus“, sagt Pflegemutter Janine Jentsch. Dass sie ihren Job im Einzelhandel für das Leben als Vollzeit-Mama aufgegeben hat, bereut sie kein Stück. „Das ist mein Fulltime-Job und ich will es nicht missen.“ Ehemann Björn Jentsch nickt zustimmend. Er ist weiterhin als Verkaufsleiter in einem Modehaus tätig. „Unsere eigenen Kinder profitieren von dem Leben mit den Pflegekindern. Sie sind sehr sozial eingestellt. Das ist uns wichtig“, sagt er. Derzeit haben der sechsjährige Lennox und die fünfjährige Lia zwei Pflegegeschwister: einen sieben Monate alten Säugling und ein dreijähriges Mädchen. „Aber sie soll im Juli zu ihrer Mutter zurückgeführt werden“, erklärt Berater Hakki Süngün.
Pflegeeltern erhalten finanzielle Unterstützung
Für ihren Einsatz als Pflegeeltern erhalten die Jentschs ein sogenanntes Pflegegeld vom Jugendamt. „Die Höhe variiert je nach Bedarf des Pflegekindes, zum Beispiel bei einer Behinderung oder wenn es auf Medikamente angewiesen ist“, erklärt Vignaraj Shanmugarajah von Plan B. Der Träger arbeitet nach dem Modell „Westfälische Pflegefamilien“, klassischerweise in dem Betreuungsschlüssel 1:10. Das bedeutet: Eine Beraterin oder ein Berater ist für zehn Pflegekinder zuständig und besucht sie mehrmals die Woche in ihren Pflegefamilien. Und der Bedarf ist hoch, egal in welcher Region: „Wir haben deutlich mehr potenzielle Pflegekinder als Pflegeeltern“, sagt Shanmugarajah. „Wir erleben häufig, dass die Menschen Skrupel haben, weil sie die Anforderungen für zu hoch halten.“ Dabei sei es deutlich einfacher, sich für die Pflegeelternschaft als für eine Adoption zu qualifizieren.
Was würden Janine und Björn Jentsch Menschen raten, die mit der Idee spielen, sich aber unsicher sind? „Das muss man fühlen. Für mich ist das meine Berufung“, sagt Janine Jentsch. „Einfach machen und ausprobieren“, sagt Ehemann Björn Jentsch. „Sonst wird man es nie wissen.“
>>> Leitfaden für Interessierte
- In Herne herrscht ebenfalls ein hoher Bedarf an Pflegeeltern. Auf ihrer Homepage hat die Interkulturelle Kind- und Jugendhilfe Plan B Ruhr einen Leitfaden sowie die wichtigsten Fragen und Antworten für Interessierte zusammengestellt.
- „Auch Alleinerziehende können Pflegekinder aufnehmen“, erklärt Vignaraj Shanmugarajah. Das sei eine der am häufigsten gestellten Fragen.
- Wer noch weitere Fragen hat, erreicht Plan B per E-Mail an pflegefamilien@planb-ruhr.de oder telefonisch unter 0234 45966931.