Herne. „Nichts ist so schön wie der Mond von Wanne-Eickel“: Vor 60 Jahren wurde der Schlager veröffentlicht. Er machte ein Kohlenpott-Städtchen bekannt.
Dass nichts so schön ist wie der Mond von Wanne-Eickel, das ist heute allgemein bekannt. Land auf, Land ab – mindestens. Grund dafür ist der bekannte Schlager, der das beschauliche Kohlenpott-Städtchen mit dem rußigen Image schlagartig bekannt machte. Das war vor 60 Jahren: Im Juli 1962 ging der Mond über Wanne-Eickel auf. Und er ist seither nicht mehr untergegangen.
Wanne-Eickel wird vor 60 Jahren von einem auf den anderen Tag mit der Nachricht überrascht, dass die bekannten Musiker Friedel Hensch und die Cyprys einen Schlager über die Stadt aufgenommen haben. Zwei Wochen, bevor das Lied veröffentlicht wird, kündigt der Musikverlag den „Der Mond von Wanne-Eickel“ in einem Brief an. Der geht an keinen Geringeren als den Oberbürgermeister persönlich: „Wir möchten Ihnen heute eine in wenigen Tagen erscheinende Schallplatte ankündigen, und zwar enthält diese Schallplatte einen Schlager, der Ihre Stadt besingt“, heißt es in dem Schreiben an Edmund Weber, das im Stadtarchiv lagert.
Herne: Original wird von einem Taxifahrer geschrieben
Der Mabot-Verlag (Hamburg) berichtet dem OB dabei über die Entstehungsgeschichte: dass das Original des Schlagers aus Frankreich komme, von einem Taxifahrer geschrieben wurde und das französische Städtchen Maubeuge besinge. „Maubeuge ist eine kleine, nicht besonders schöne Stadt, bedingt durch die dortige Industrie“, heißt es in dem Brief. Und unverblümt schreibt der Verlag weiter: „Wir glauben also, in Wanne-Eickel ein Pendant gefunden zu haben.“ Maubeuge, das sei das Positive, sei dank des Schlagers von Pierre Perrin zu einem beliebten Urlaubsziel geworden: „Gäste aus der ganzen Welt treffen sich in dieser zauberhaften Industriestadt.“ Zum Schluss schreibt der Verlag noch: „Wir möchten wünschen, daß Ihnen und Ihrer Stadt dieser Schlager die gleiche Popularität verschafft wie der Stadt Maubeuge.“
Wanne-Eickel nimmt die Steilvorlage dankbar an. Die Lokalzeitungen überschlagen sich und zählen die Tage, bis der Mondschein-Tango, von Texter Ernst Bader eingedeutscht und auf Wanne-Eickeler Verhältnisse angepasst, endlich in den Läden liegt – und das Lied dann, hoffentlich, auch das Städtchen mit dem Bindestrich-Namen zur Berühmtheit macht. So schreiben die Ruhr-Nachrichten im Juli 1962: „Und nun haben sie ihn, die Wanne-Eickeler, ihren Heimat-Schlager.“ Nichts sei so schön wie der Mond von Wanne-Eickel? „Schönheit liegt so nah im Auge des Betrachters“, meint die Zeitung.
Riviera? Ach was: Ab zum Mond-Bad am Rhein-Herne-Kanal
Die weiteren Teile der WAZ-Serie „Herne historisch“
1. City-Center: Vom „Knüller“ zum Sorgenkind
2. Kraft-Messing-Platz: Platz gab es nur für wenige Jahre
3. Wanner Hundewiese: Wo es in Wanne einst die „Hundewiese“ gab
4. Hotel Schlenkhoff: In Herne-Mitte stand einst das erste Haus am Platze
5. Willi Henkelmann: Herner lösen Rätsel um Tod des berühmten Rennfahrers
6. Margarethe Henkel: Als Herne sein „historisches Baby“ feierte
7. Horststadion: Stadion erlebte viele packende Wettkämpfe
8. Möllertunnel: Unterführung wurde geliebt und gehasst
9. Nagelhaus: Als die Menschen Nägel in Wahrzeichen schlugen
10. Herner Herdfabrik: Vor 45 Jahren war der Ofen endgültig aus
11. Feuer zerstörte einst die historische Wassermühle in Herne
12. So riss Wanne-Eickel das Haus Bönninghausen ab
13. Teckelbahn war in Europa einzigartig
14. 100.000 Einwohner: Ein Baby macht Wanne-Eickel zur Großstadt
15. Ein Weltstar aus Herne – Kurt Edelhagen vor 100 Jahren geboren
16. Bummeln mit Flair: Kaiserpassage gab Wanne einen mondänen Anstrich
17. Der Stichkanal: Kanal verband Herne mit dem Schiffshebewerk Henrichenburg
18. Von Kaufmann bis Hertie: Das waren die Kaufhäuser in Herne
19. Herne in Trümmern: 1945 knurrte bei den Menschen der Magen
20. Bau des Bahnhofs sorgte für Chaos in der Stadt
21. Vor 65 Jahren öffnete das Kinderkurheim in Hammelbach
22. XXL-Entertainment-Center wird zur riesigen Bauruine
23. Das Schicksal der „Käseglocke“
24. Bürgerentscheid: Herner wollten zwei Schwimmbäder retten
25. Ruhrbesetzung – was Soldaten über Herne nach Haus schrieben
26. Als Herne einen Flugplatz mit Luftschiff hatte
27. Mond von Wanne-Eickel: Als ein Lied die Stadt berühmt machte
28. Stadt Herne macht Gysenberger Wald zum Naherholungsgebiet
29. Mit allen Schikanen: Feuerwehr in Herne bezieht neue Wache
30. Herne: Bei alten Luftbildern werden Erinnerungen wach
31. Alte Luftbilder zeigen Herne in den 50er und 60er Jahren
Der Wanne-Eickeler Zeitung ist klar: Niemand werde mehr von Ruß und Staub und vom versprochenen blauen Himmel über dem Revier sprechen, wenn das Lied erst mal durch den Äther aus Millionen Lautsprechern in den bundesdeutschen Haushalten erschallt. „Wanne-Eickel wird seine große Chance erkennen und ergreifen und niemand wird es mehr wagen, auf die Stadt, die böse Zungen die verschmutzteste Deutschlands nannten, mit Fingern zu zeigen“, heißt es am 9. Juli 1962, zehn Tage vor der Veröffentlichung der Platte. Und: „Unser Solbad wird in einem Atemzug mit Kissingen, Bad Neuheim oder Meinberg genannt werden, und um den Hotelneubau am Hauptbahnhof werden sich die Interessenten streiten.“
Drei Tage später legt die Zeitung nach: „Wer davon träumt, als Filmsternchen entdeckt zu werden, wird sich künftig nicht mehr bikini-bekleidet in die südliche Sonne der Riviera legen dürfen, sondern ein Mond-Bad am Kanal vorziehen müssen!“ Und die Bild-Zeitung stellt fest: „Urlaub an der Adria, Ferien am Lido von Venedig, Erholung auf Sylt. . . Die Freizeit-Industrie an diesen Orten muss um ihre deutschen Kunden bangen. Da mag die Sonne noch so prall vom Himmel lachen, das Meer noch so blau verführen – was ist das schon gegen den Mondschein von Wanne-Eickel.“
Karikatur über Wanne-Eickel auch in Frankreich
Auch in Frankreich, wo das Original herstammt, wird über den deutschen Ableger von „Un claire de lune à Maubeuge“ (zu Deutsch: „Ein Mondstrahl in Maubeuge“) berichtet. So ist in der französischen Sonntagszeitung „Le journal du dimanche“ eine Karikatur zu sehen mit einem Eisenbahnschalter und drei Menschen. Einer von ihnen sagt zum Schalterbeamten: „Klar, wir fahren immer an die Cote d’Azur, aber seit einiger Zeit wird im Radio so viel über den schönen Mond von Wanne-Eickel gesprochen.“
Und wie: Auch im Lied „Mond von Wanne-Eickel“ findet sich der ironische Geist des Originals. „Die ganze Luft ist erfüllt vom ew’gen Mai“, singen Friedel Hensch und die Cyprys da, „und jede Nacht am Kanal von Wanne-Eickel ist voller Duft, wie die Nächte von Hawaii...“ Viele exotische Namen, die in der Schlagerwelt der 1950er und 1960er Jahre so gern besungen werden und das Fernweh befeuern, tauchen in dem Mondlied auf: Mallorca, na klar, aber auch Tarragona, Athen und Rio und nehmen so letztlich die Schlageridylle aufs Korn.
Und die Wanne-Eickeler? Sie wollen das Lied von Friedel Hensch (1906-1990). Sofort. „Freitag nachmittag kamen die ersten Platten in den Geschäften an. Sie waren sofort vergriffen. Am Montag waren auch die Nachlieferungen schnell wieder ausverkauft, neue Nachbestellungen gingen heraus“, schreibt die WAZ am 17. Juli 1962.
Mond wird zum Marketing-Instrument
Die stolze Stadt wird in dem Lied durch den Kakao gezogen? Egal, ist doch lustig. Nach dem Motto: Da stehen wir doch drüber, oder? Auch wenn die Touristenströme ausbleiben: Der Mond von Wanne-Eickel wird immer mehr zum Begriff, nicht nur in der Stadt, auch weit darüber hinaus, mehr noch, er wird zum Marketing-Instrument. So ist der Himmelskörper seit 20 Jahren Namensgeber für die „Wanner Mondnächte“, die dreitägige Feier am Buschmannshof, ihn gibt es als Likör, heute produziert von der Schnapsbrennerei Eicker & Callen, er steckt im Namen des Mondpalasts, des Volkstheaters von Prinzipal Christian Stratmann, oder in dem der Mondritterschaft Wanne-Eickel, die Sozialprojekte unterstützt und Stadtteilfeste organisiert – um nur einige Beispiele zu nennen.
Das Mondmotiv, sagt Alexander Christian, Sprecher von Stadtmarketing Herne, habe sich längst verselbstständigt. Die Menschen identifizierten sich mit dem Mond und nähmen ihn mit in ihren Alltag: „Die Menschen freuen sich, wenn sie den Mond von Wanne-Eickel sehen.“ Mehr noch: Der Mond sei heute Kult: „Welche Stadt hat schon einen eigenen Mond?“ Dieser begrüßt längst übrigens auch die Gäste der Stadt: Schließlich leuchten schon am Hauptbahnhof Wanne-Eickel und Buschmannshof runde Monde mit der Botschaft: „Willkommen auf dem Mond“.
Und das Lied? Das hat bis heute nichts an seiner Popularität eingebüßt. Zu Kirmeszeiten wird es auf Crange rauf und runter gespielt.
>> WEITERE INFORMATIONEN: Hotte Schröder spielt Akustikversion des Liedes ein
Ein großer Fan des „Monds von Wanne-Eickel“ ist Horst „Graf Hotte“ Schröder. Der Wanne-Eickeler Sänger, auch Mitglied der „Mondritter“, versucht, den Mond so oft wie möglich bei Aktionen aufzugreifen. Er würde sich wünschen, dass der „Mond von Wanne-Eickel“ in der Stadt künftig eine noch größere Rolle spielt.
Zum 60. Geburtstag des Liedes hat Schröder eine Akustikversion des Liedes eingespielt – gemeinsam mit Christian Samosny. Die Kosten dafür hätten die Mondritter getragen. Diese Version soll auf seinem nächsten Album als Bonustrack erscheinen, kündigt er an.