Herne. Von gelöster Stimmung nach Corona-Pause keine Spur: Über dem Arbeitnehmerempfang in Herne lag ein langer Schatten. Das hatte mehrere Gründe.
Nach zweijähriger Corona-Pause hatte die Stadt für Dienstagabend wieder zum Arbeitnehmerempfang eingeladen. Hernes Oberbürgermeister Drank Dudda (SPD) begrüßte im Veranstaltungssaal des Revierparks Gysenberg Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften, außerdem aus der Politik. Auch wenn die Besucherinnen und Besucher froh waren, dass das Treffen endlich wieder stattfinden konnte, so lag doch ein langer Schatten auf der Veranstaltung. Von gelöster Stimmung, wie so oft bei Arbeitnehmerempfängen vergangener Jahre, war diesmal keine Spur.
Das lag, natürlich, am Ukrainekrieg und seinen Folgen, aber auch am plötzlichen Tod von Frank Heu, dem stellvertretenden DGB-Stadtverbandsvorsitzenden. Für Heu, der an diesem Mittwoch beerdigt wurde, legte der Oberbürgermeister eingangs eine Gedenkminute ein. Und nicht zuletzt: Auch Corona schlägt vielen Menschen weiterhin auf den Magen – und finanziell zudem voll durch. „Was sind das nur für Zeiten, in denen wir uns bewegen“, fragte Gastgeber OB Dudda bei seiner Begrüßung in den Saal.
Er bekannte: „Viele Menschen haben den Optimismus verloren.“ So verstärkten sich durch die Pandemie und die Folgen des Krieges die sozialen Probleme. In diesen Zeiten sei es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht einfach, für eine faire Bezahlung und eine bessere Personalausstattung einzutreten. Das sei aber nötig: „Fachkräfte kann man nicht gewinnen, wenn man sie nicht richtig bezahlt“, so Dudda, der sich vor den Gewerkschaftern als „sehr großen Freund der Mitbestimmung“ bezeichnete. Der Oberbürgermeister machte aber auch Mut in der aktuellen weltpolitischen und pandemischen Lage: Die Herner Stadtgesellschaft habe die Herausforderungen angenommen, er habe viel Zusammenhalt erlebt. Sein Appell: „Wir müssen auf einander Acht geben.“
DGB-Chef kritisiert „dauerhafte Aufstockung des Rüstungshaushalts“
Hauptredner des Empfangs war DGB-Chef Peter Holtgreve. Auch er sprach angesichts des Todes von Heu und dem Ukrainekrieg von „tiefer Trauer und tiefer Sorge“ der Gewerkschaften. Trotz aller Kritik am russischen Angriffskrieg: Die „dauerhafte Aufstockung des Rüstungshaushalts“ sieht Holtgreve „sehr kritisch“. Vorrang haben müssten Zukunftsinvestitionen in den sozial-ökologischen Umbau und die Leistungsfähigkeit des Sozialstaates: „Die militärische Friedenssicherung darf nicht zulasten des sozialen Friedens erkauft werden.“
Auch er ging auf die Kriegsfolgen für die Menschen in Herne ein. Sie seien angesichts der Kostenexplosionen „eine Katastrophe“ – für die gesamte Wirtschaft und für viele Beschäftigte. Einkommensschwache könnten die steigenden Energiepreise nicht mehr bezahlen, Familien und Paare mit mittleren Einkommen müssten die höchsten Inflationsraten schultern: „Die aktuelle Inflation verteilt die Lasten sozial ungerecht.“ Die Tariflöhne seien in Deutschland 2021 durchschnittlich nur um 1,7 Prozent gestiegen, kritisierte Holtgreve, das Plus führe aber nicht zu einem langfristigen Ausgleich, sondern zu deutlichen Reallohnverlusten“. Nötig sei deshalb „politisches Handeln“ – sowie „dringend eine steuerliche Umverteilung und eine konsequente Politik gegen Armut“.
Auch auf die laufenden Tarifverhandlungen im Sozial- und Erziehungsdienst ging er ein. Holtgreve fordert deutliche Verbesserungen für die Beschäftigten: Bereiche wie die Jugendhilfe, Kitas und die offene Ganztagsbetreuung stünden angesichts der Belastungen „vor dem Kollaps“, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien „am Limit, werden krank, steigen aus dem Beruf aus und der Nachwuchs fehlt“. Bessere Arbeitsbedingungen, mehr Geld und Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel müssten nun endlich her, so der DGB-Chef.
>> WEITERE INFORMATIONEN: Schulterschluss gegen Rechtspopulisten
Auch auf die Landtagswahl am 15. Mai ging Hernes DGB-Chef Peter Holtgreve ein. Die Gewerkschaften engagierten sich wie fast keine andere Organisation für Demokratie, sagte er. Sie stünden für Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit, Weltoffenheit und einen Rechtsstaat ein.
„Das ist das Gegenteil von völkisch-national“, so Holtgreve. Und: „Das ist das Gegenteil dessen, was uns die Rechtspopulisten als Alternative für Deutschland verkaufen wollen“. Die demokratischen Parteien rief er auf, einen Schulterschluss gegen die Rechtspopulisten zu ziehen. Der Landtag müsse nazifrei sei.