Herne. Die Islamische Gemeinde Röhlinghausen engagiert sich in der Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine. Zwei Mal die Woche gibt es Deutschunterricht.

„Mein Name ist Veronika. Ich bin acht Jahre alt“, sagt Veronika langsam aber sorgfältig auf, ohne dabei von dem säuberlich vollgeschriebenen Zettel vor ihr abzulesen. Mit ihrem Kopf macht sie bei jedem einzelnen Wort eine nickende Kopfbewegung, ihr langer Zopf hüpft dabei auf ihrem Rücken auf und ab. Die Achtjährige schaut zu ihrer Mutter rüber, die neben ihr sitzt. Natalia lächelt, nickt ihrer Tochter zu.

Die beiden sind aus dem südukrainischen Saporischschja über Polen nach Deutschland geflohen, leben seit Anfang März bei einer polnischstämmigen Familie in Herne. Jeden Dienstag und Donnerstag besucht die 41-Jährige mit ihrer Tochter den Deutschkurs in der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen. „Unsere Gastfamilie hat mich darauf aufmerksam gemacht“, erzählt die Alleinerziehende. „Anfangs haben sie uns noch mit dem Auto gebracht, mittlerweile kommen wir mit dem Bus hier her.“ Die Ablenkung tue ihr ganz gut, auch wenn Veronika etwas weniger Interesse am Unterricht habe, als sie selbst. „Heute war aber der erste Tag, an dem sie sich auswendig aus dem Gedächtnis vorstellen konnte. Da war sie sehr stolz.“

Herner Gemeinde will zweiten Deutschkurs anbieten

Vorne an der Tafel des Raums, der ansonsten für den Koranunterricht und Gebete genutzt wird, steht Rosa Mühlstrasser. Sie ist Sozialarbeiterin in Frührente, gibt den Deutschkurs mittlerweile seit drei Wochen. „Anfangs waren es noch 15 Leute, mittlerweile schon 20“, sagt die 54-Jährige mit dem dunkelroten Haar und den bunt lackierten Nägeln. „Als Tuncay mich gefragt hat, ob ich Deutsch unterrichten möchte, habe ich sofort ja gesagt.“

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Rosa Mühlstrasser unterrichtete vor einigen Jahren bereits Geflüchtete aus Syrien.
Rosa Mühlstrasser unterrichtete vor einigen Jahren bereits Geflüchtete aus Syrien. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Tuncay Nazik, Vorstand der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen, sitzt neben der zehnjährigen Polina am Tisch in der letzten Reihe, die beiden unterhalten sich, lachen immer wieder. Seit rund einem Monat lebt das Mädchen mit seiner Mutter und den zwei Cousinen Daria und Maria in den Räumen der Gemeinde. „Wir verständigen uns ein wenig auf Englisch, ein wenig mit Google Übersetzer und den Rest irgendwie so“, sagt Nazik. „Das Angebot wird gut angenommen. Wir planen, einen zweiten Kurs anzubieten und suchen dafür aktuell nach Dozenten.“ Rosa Mühlstrasser kenne er seit Jahren, während der Flüchtlingswelle ab 2015 unterrichtete sie Geflüchtete und Asylsuchende, damals überwiegend aus Syrien. „In dieser Zeit haben wir gesehen, wie wichtig Sprache ist“, so Nazik. „Sie ist der Schlüssel zur Eingliederung in der Gesellschaft.“

„Es ist nicht das Gleiche wie zu Hause“

Viel Dankbarkeit und Ehrgeiz brächten die Menschen aus der Ukraine mit, findet Lehrerin Rosa: „Egal in welchem Alter, alle sind sehr wissbegierig.“ Und natürlich – ein wenig ungeduldig auch: „Am liebsten würden alle schon jetzt Deutsch sprechen können.“ Aller Anfang ist schwer, so auch im Deutsch-Kurs. Auf dem kariert gemusterten Teppichboden liegen Alltagsgegenstände verteilt: Ein Topf, ein Ball, eine Flasche, eine Schere und eine Schüssel. Auf bunten Karten stehen die Namen der Gegenstände, die Teilnehmenden ordnen sie zu. „Mit solchen Spielen lockern wir den Unterricht ein wenig auf, dann ist es nicht ganz so theoretisch“, sagt Mühlstrasser. Aber sie macht sich da keine Illusionen: „Natürlich ist die Stimmung hier häufig auch sehr gedrückt, aber das lassen wir dann auch zu.“

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Larissa und ihr Mann Anatolii teilen sich einen Tisch mit ihren drei Söhnen Gleb, Renat und Ostap, daneben sitzen Daria, die zweite Polina und Viktoria. „Wir kommen aus Odessa“, sagt Larissa. „Als einzige hier im Kurs. Aber man lernt sich kennen und es entstehen Freundschaften.“ Schicksalsgemeinschaften, so gesehen. Ein kleines Stück Heimat in Zeiten, in denen alles andere Kopf steht. „Der Unterricht gibt uns eine Beschäftigung“, sagt Larissa. „Wir sind natürlich froh, dass wir hier sicher sind, aber es ist nicht das Gleiche wie zu Hause.“

Am Anfang waren es noch 15 Kursteilnehmende, mittlerweile sind es sogar 20.
Am Anfang waren es noch 15 Kursteilnehmende, mittlerweile sind es sogar 20. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

>>> Islamische Gemeinde mietet Wohnungen an

  • Die Islamische Gemeinde mietet derzeit fünf Wohnungen für Geflüchtete aus der Ukraine an. Zwei davon sind bereits vergeben. Die anderen drei sind bald bezugsbereit, werden aktuell noch saniert. Dort sollen 13 Geflüchtete unterkommen.
  • „Mehrere Gemeindemitglieder haben uns Möbel und Lampen für die Einrichtung gespendet“, sagt Gemeindevorstand Tuncay Nazik. „Die Hilfsbereitschaft ist sehr groß, aber wir müssen natürlich auch priorisieren und können nicht jedes Angebot annehmen.“