Herne. Die Herner Jusos haben eine Doppelspitze gewählt. Im WAZ-Interview sprechen Amelie Menges und Alexander Stahl über ihre politischen Ziele.

Zum ersten Mal haben die Herner Jusos eine Doppelspitze gewählt. Amelie Menges (27) und Alexander Stahl (26) vertreten künftig die Belange des SPD-Nachwuchses. Die beiden Jungsozialisten wollen für eine Politik mit linkeren Akzenten kämpfen. Im Interview mit der WAZ sprechen sie darüber, wie sie zum Ratspartner CDU stehen und an welchen Stellen sie ihrer eigenen Partei Beine machen wollen.

Fridays for Future, Black Lives Matter: Die junge Generation ist durchaus politisiert. Trotzdem zeigen Studien, dass junge Menschen den etablierten Parteien wenig Vertrauen entgegenbringen. Was macht die SPD falsch – und wie könnte sie junge Menschen besser erreichen?

Stahl: In erster Linie, indem sie Politik für junge Menschen macht. Außerdem sollte die SPD Bewegungen wie Fridays for Future oder Black Lives Matter stärker unterstützen, um zu zeigen, dass die etablierten Parteien durchaus offen für neue Dinge sind.

Menges: Für junge Menschen sind Bewegungen allerdings auch dankbarer als Parteien. Man geht zur Schule, man studiert, zieht um. Da kann es schwer sein, in eine Partei hineinzukommen. Wir hoffen aber, dass wir es schaffen, mehr junge Menschen in Herne für die SPD zu begeistern.

Warum haben sich die Jusos entschieden, zum ersten Mal eine Doppelspitze zu wählen?

Stahl: Wir studieren beide, wir arbeiten beide. Als Team können wir uns die Arbeit aufteilen. Außerdem ist die Doppelspitze ein längst überfälliges Zeichen der Gleichberechtigung. Dieses Zeichen richtet sich auch an die Herner SPD.

Welche Themen wollen Sie in Ihrem neuen Amt zuerst angehen?

Menges: Wir treffen uns jetzt jeden zweiten Dienstag im Monat. So wollen wir eine Regelmäßigkeit etablieren. Außerdem möchten wir uns stärker mit anderen Organisationen und Bewegungen vernetzen – zum Beispiel mit Fridays for Future.

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Stahl: Juso ist man in der SPD automatisch, wenn man unter 35 Jahre alt ist. Die Herner SPD hat über 200 Mitglieder in dieser Altersgruppe. Die möchten wir erst einmal als aktive Jusos „reaktivieren“. Natürlich wollen wir aber auch neue Mitglieder werben. Sei es von Fridays for Future, von den Falken oder aus den Gewerkschaften.

Menges: Außerdem wollen wir das politische Profil der Jusos stärken, unabhängig von der SPD. Wir stehen für Feminismus, Anti-Rassismus und Anti-Faschismus.

Bei Ihrer Wahl haben Sie angekündigt, Sie wollten „die da oben mal ein bisschen nerven“. Meinen Sie damit auch die eigene Partei?

Stahl: Unbedingt. Wir wollen gegenüber der SPD als Korrektiv wirken und sie immer wieder an ihre Grundwerte erinnern. Das Grundsatzprogramm der SPD strebt den demokratischen Sozialismus an. Ich habe das Gefühl, dass einige Genossinnen und Genossen ab und zu daran erinnert werden müssen.

Was bemängeln Sie konkret an der Herner SPD?

Menges: Der Altersdurchschnitt der Ratsmitglieder, Bezirksverordneten und Ortsvereinsvorsitzenden ist sehr hoch, obwohl die Herner SPD so viele junge Mitglieder hat. Diese jungen Mitglieder wollen wir unterstützen und in Positionen bringen, in denen sie eine stärkere Stimme haben.

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Stahl: Wir als Jusos lehnen die CDU auf allen politischen Ebenen ab. Nach der letzten Kommunalwahl hätte es für eine rot-grüne Mehrheit in Herne gereicht. Die wurde aber nicht genutzt – aus Gründen, die wir für vorgeschoben halten. Wir wollen progressive Politik in Herne.

Tatsächlich präsentierte sich die rot-schwarze Ratskooperation zuletzt wenig harmonisch.

Stahl: Mir war von Anfang an klar, dass das nicht lange gut geht. Die CDU in Herne agiert vollkommen weltfremd. Sie propagiert Sicherheit und Ordnung, schafft es aber nicht einmal, sich an die Regeln für die Wahlplakatierung zu halten.

Was ist aus Ihrer Sicht gerade das Top-Thema in Herne? Was muss sich in der Stadt ändern?

Menges: An den Wahlkampfständen sprechen die Menschen sehr häufig das Thema „bezahlbarer Wohnraum“ an. Es wird zwar viel gebaut, aber hauptsächlich im hochpreisigen Segment, das sich viele Menschen nicht leisten können. Auch für Bürgerinnen und Bürger mit geringerem Einkommen muss es möglich sein, einen eigenen Garten oder einen Balkon zu haben. Da braucht es kreativere Lösungen.

Stahl: Wir müssen uns nichts vormachen: In Herne gibt es viele Menschen, die nicht viel Geld haben. Deshalb muss beispielsweise der Mindestlohn kurzfristig auf mindestens zwölf Euro erhöht werden. Wie andere Ruhrgebietsstädte ist Herne zudem hoch verschuldet und braucht dringend einen Altschuldenschnitt. Nur so kann die Stadt wieder investieren und lebenswerter werden. Natürlich muss so etwas auf Bundesebene beschlossen werden. Aber dafür tritt die SPD ja ein.

In einem Facebook-Post kritisierten Sie Annegret Kramp-Karrenbauer für Ihre „zynischen Worte“ über afghanische Ortskräfte. Macht Heiko Maas Ihrer Ansicht nach eine gute Figur in der Afghanistan-Politik?

Menges: Ganz ehrlich: nein. Was gerade in Afghanistan los ist, ist eine Schande für uns alle. NGOs haben seit Monaten vor einer Machtübernahme der Taliban gewarnt und betont, dass die Ortskräfte dort rausgeholt werden müssen. Jetzt so zu tun, als hätte man nichts gewusst, ist beschämend. Da klammern sich Leute an Flugzeugfahrwerke und wir schauen erst einmal schön bürokratisch, ob sie auch auf der Liste stehen.

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Olaf Scholz hat zuletzt in Umfragen zur Kanzlerfrage immer weiter zugelegt und Armin Laschet überholt – ein Zeichen dafür, dass die SPD auf Bundesebene etwas richtig macht?

Stahl: Wir als Jusos finden das Parteiprogramm der SPD zum Bundestagswahlkampf super. Darin finden sich viele Dinge, die für junge Menschen wichtig sind, sei es soziale Klimapolitik oder die Anhebung des Mindestlohns. Hinzu kommt, dass die CDU und die Grünen vieles falsch machen, was der SPD in die Karten spielt.

Menges: Und wir machen Wahlkampf für eine linke Mehrheit. Rot-rot-grün wäre für uns die beste Regierungskoalition. Ansonsten möchte ich dem ehemaligen SPD-Vizekanzler Franz Müntefering widersprechen: Opposition ist nicht Mist, sondern notwendig für eine funktionierende Demokratie.

>>> ZUR PERSON

  • Alexander Stahl ist gebürtiger Herner und ist nie weggezogen. Nach seiner Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann und Fortbildung zum Handelsfachwirt studierte er an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen Journalismus und Public Relations im Bachelor und macht jetzt seinen Master in Kommunikationsmanagement. Er ist Mitarbeiter im Wahlkreisbüro der SPD-Bundestagsabgeordneten Michelle Müntefering.
  • Amelie Menges ist ebenfalls gebürtige Hernerin. Die 27-Jährige studiert an der TU Dortmund Mathematik und arbeitet derzeit an ihrer Promotion. Außerdem ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Uni tätig. Nach einem kurzen Ausflug nach Münster und einem Auslandssemester während des Studiums zog es sie wieder nach Herne. 2017 trat sie in die SPD ein.