Herne. Der Goethe-Instituts-Leiter in Brasilien ist zurück in Herne. „In Sao Paulo wären wir dem Gesundheitssystem rettungslos ausgeliefert“, sagt er.
Die Herner WAZ steht seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie regelmäßig in Kontakt mit Matthias Makowski, Regionalleiter für die Goethe-Institute in Südamerika und Chef des Instituts in Sao Paulo. Nun bot sich für WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann die Gelegenheit für ein persönliches Gespräch.
Herr Makowski, vor zwei Wochen sind Sie aus Brasilien nach Europa zurückgekehrt und sind nun für ein paar Tage in Herne Wie kam es dazu?
Makowski: Das war sehr einfach: Wir haben einen Impftermin für meine Familie und mich im Impfzentrum Herne erhalten. Diese Chance wollten wir nutzen. Mitarbeiter des Auswärtigen Dienstes gehören zur Prioritätsgruppe 2. Zunächst hieß das aber: 14 Tage Quarantäne, denn Brasilien zählt zu den Virusvarianten-Gebieten. Nachdem wir diese hinter uns gebracht haben, sind wir nun auch geimpft. Das hat übrigens unkompliziert geklappt und die Stadt Herne hat uns vorbildlich und professionell unterstützt. Das war schon eine große Hilfe, für die ich sehr dankbar bin.
Warum haben Sie sich und Ihre Familie in Herne impfen lassen?
Ich bin ja Herner und habe hier auch noch meinen Wohnsitz. Ganz in der Nähe von Schloss Strünkede. Dort wohne ich mit meiner Frau und meinem jüngeren Sohn, wenn ich in der Heimat bin. Zum Beispiel, wenn wir zur Cranger Kirmes gehen, was ja in diesem Jahr leider wieder nicht möglich ist. Ein eigenes Haus haben wir allerdings in Estland. Da haben wir auch die Quarantäne verbracht.
In Brasilien wäre die Impfung nicht möglich gewesen?
Doch, auch in Brasilien gibt es eine Impfkampagne und ich wäre mittlerweile auch bald an der Reihe. Nur: Brasilien nutzt bislang den chinesischen und den russischen Impfstoff, die beide nicht in der EU zugelassen sind. Und für meine Familienangehörigen hätte es bis zum ersehnten Piks in den Oberarm noch lange gedauert.
Wenn Sie im Herner Impfzentrum die erste Impfung erhalten haben, bleiben Sie also so lange in Europa, bis Sie auch die Zweitimpfung bekommen haben?
Ja, im Juli geht es zurück nach Brasilien. Ich freue mich, geimpft kein Risiko zu tragen, wenn ich meine Kolleginnen und Kollegen wieder treffen kann. Bis dahin werde ich auch einige in Herne verbringen.
Gibt es in dieser Zeit bestimmte Orte, die sie hier ansteuern?
Ich habe auf der WAZ-Internetseite von dem Strickbaum am Schloss gelesen, den möchte ich mir anschauen, das ist ja auch ein schöner Weg. Es mag merkwürdig klingen, aber ich gehe immer auf Friedhöfe, wenn ich in Herne bin. Das hat damit zu tun, dass ich einige Familiengräber besuche. Und hoffentlich werde ich ein paar Freunde treffen, obwohl das in der jetzigen Lage natürlich schwer ist. Und dann wäre es natürlich schön, wenn man sich dann auch wieder richtig begrüßen kann. Nur als Beispiel: Als Brasilianer ist es unmöglich, sich nicht in den Arm zu nehmen. Die Menschen sind dort viel körperbetonter. Und wenn Crange wäre, dann wäre ich dort. Bei Steinmeister trifft man eigentlich immer jemanden. Ich bin in den vergangenen Jahren immer zur Cranger Kirmes gegangen. Das wird auch so bleiben. Und wenn ich in einigen Jahren in den Ruhestand gehe, wird die Verwurzelung mit Herne wieder stärker.
Nach allem, was wir über die Lage in Brasilien wissen: Sind Sie nicht auch erleichtert, dass Sie der bedrohlichen Situation in Sao Paulo für einige Zeit entkommen sind?
Das kann ich unterschreiben. Unsere Situation ist, ich hatte es ja schon berichtet, dabei außergewöhnlich privilegiert. Die Chancen, uns vor einer Ansteckung zu schützen, sind für uns so hoch wie bei wenigen: eine große Wohnung, Versorgung über gut funktionierende Bestellservices mit allem, was man zum Leben braucht, sofern man über ein ausreichend gefülltes Bankkonto verfügt. Dennoch sind Kontakte nicht zu vermeiden. Und dann macht das Virus keinen Unterschied und wenn man ernster erkrankt und möglicherweise Hilfe braucht, dann wären wir in Sao Paulo dem kollabierenden Gesundheitssystem rettungslos ausgeliefert.
Wie geht es in Brasilien weiter?
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Wir haben uns mittlerweile an die Katastrophenmeldungen gewöhnt: Zurzeit blickt alles nach Indien, aber dass sich in Brasilien besonders günstige Ausgangschancen für die Ausbreitung dieser Krankheit finden, ist nicht zu leugnen. Es ist nicht nur das System Bolsonaro, es ist auch die strukturelle Ungleichheit, die Beengtheit in den Favelas, die sogenannten „informellen“ Beschäftigungsverhältnisse und schließlich die ungerechte Verteilung, die Armut großer Teile der Bevölkerung. Die Impfkampagne ist für Brasilien eine echte Herausforderung: 220 Millionen überwiegend junge Einwohner müssen geimpft werden, aber die Menge der verfügbaren Impfstoffe wird regelmäßig nach unten korrigiert. Es wird noch Monate dauern, bis sich die Lage normalisiert. Zum Glück aber hat sich die Zahl der Neuinfektionen auf einem hohen Niveau stabilisiert, die indische Katastrophe ist bislang ausgeblieben.
Was steht nach Ihrer Rückkehr nach Sao Paulo an?
Wir haben viel zu tun, denn in der Pandemie schauen unsere brasilianischen Partner mit Erwartungen nach Deutschland und Europa. Eins steht schon fest: Der Hilfsfonds, mit dem das Goethe-Institut mit Hilfe des Auswärtigen Amts und wichtigen deutschen Stiftungen bereits 2020 in stark von der Pandemie betroffenen Ländern lokale Kulturakteure unterstützen konnte, wird auch 2021 fortgesetzt. Und das Interesse an den Angeboten, die deutsche Sprache zu lernen, ist in diesen Zeiten nochmals gewachsen.
>> ZUR PERSON
■ Matthias Makowski wurde 1960 in Herne geboren. Nach dem Abitur studierte er katholische Theologie, klassische Philologie und Germanistik.
■ Nach einer kurzen Zeit im Schuldienst folgte er 1987 einem Ruf an die Tongji-Universität in Shanghai. Seit 1991 arbeitet er beim Goethe-Institut mit Stationen in Rotterdam, Krakau, Riga, Prag, München und Athen.
■ Matthias Makowski ist verheiratet und hat zwei Kinder.