Herne. In der nächsten Woche könnte eine Entscheidung über eine Kirmes in Crange fallen. Die WAZ sprach mit Schaustellerpräsident Albert Ritter.

In der kommenden Woche könnte eine Entscheidung fallen, ob Anfang August eine Kirmes in Crange stattfinden kann. Albert Ritter, Präsident des Deutschen Schaustellerbundes, erläutert im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann, unter welchen Bedingungen er sich eine Veranstaltung vorstellen kann.

Herr Ritter, nach mehr als einem Jahr Pandemie: Wie ist die Lage bei den Schaustellern?

Ritter: Die Schausteller sind mit am stärksten von der Pandemie betroffen. Wir haben unter normalen Umständen auf den Weihnachtsmärkten 2019 unser letztes Geld verdienen können, deshalb stehe wir mit dem Rücken an der Wand. Wir versuchen aber das Beste aus der Situation zu machen.

Inwiefern?

Wir stehen mit den politischen Entscheidern in Verhandlungen. Wenn wir schon nicht öffnen können, sollten wir wenigstens in den Überbrückungsprogrammen mit berücksichtigt werden.

Und wie stehen die Chancen?

Ich war in der vergangenen Woche in der großen Wirtschaftsrunde mit Minister Peter Altmaier dabei, und es gibt Bewegung im Wirtschafts- und Finanzministerium. Es ist scheinbar noch nicht in allen Köpfen angekommen, dass wir ein Saisonbetrieb sind und eine reguläre Winterpause haben, in der wir kein Geld verdienen können. Deshalb müssen Hilfsmaßnahmen immer wieder an unser Gewerbe angepasst werden.

Haben Schausteller Ihrer Branche inzwischen den Rücken gekehrt?

Das nicht, aber manche versuchen sich und ihre Familie irgendwie über Wasser zu halten. Ich kenne den Kollegen, der jetzt hinter der Fleischtheke steht, ich kenne den Kollegen, der jetzt als Kraftfahrer bei der Entsorgung seiner Stadt fährt, es gibt welche, die an Supermarktkassen sitzen.

Andere bauen ihren Kirmesstand auf ihrem eigenen Betriebshof auf und verkaufen dort. Kann das eine Lösung sein?

Im vergangenen Jahr gab es am „eigentlich“ ersten Kirmesfreitag eine kleine Fassanstich-Zeremonie beim Rummel-Gastro.
Im vergangenen Jahr gab es am „eigentlich“ ersten Kirmesfreitag eine kleine Fassanstich-Zeremonie beim Rummel-Gastro. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

In einer Nebenstraße einen Verkauf aufzubauen, kann niemals ein großes Volksfest ersetzen. Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und ein bisschen Balsam für die Seele, dass man morgens aufsteht und in seinen Verkaufsstand hineingeht, um beschäftigt zu sein. Allerdings gibt es zahlreiche Kirmesfans, die Stützungskäufe machen. Es tut gut zu wissen, dass man nicht vergessen ist.

Schauen wir auf Crange. Im vergangenen Jahr gab es am ersten Freitag im August einen symbolischen Fassanstich im ganz kleinen Kreis. Möchten Sie so eine Zeremonie noch einmal erleben?

Ich möchte vom Herzen her eine Kirmes erleben, wo die Menschen wieder zusammenkommen und Freude haben. Man muss sich mal Folgendes vorstellen: Wir haben jetzt fünfjährige Kinder, die noch nie auf einem Kinderkarussell gesessen haben. Das macht etwas mit den Menschen, wenn dieses einzigartige Gefühl wegfällt.

So sehr die Menschen Crange vermissen: Glauben Sie, dass die Menschen in diesem Jahr erwarten, dass eine Kirmes stattfindet?

Die Stimme der Schausteller: Albert Ritter rät dazu, dass Volksfeste zunächst weitergeplant werden.
Die Stimme der Schausteller: Albert Ritter rät dazu, dass Volksfeste zunächst weitergeplant werden. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Hoffen ist vielleicht das bessere Wort. Wir haben bewährte Hygieneschutzmaßnahmen und hatten zum Beispiel bei den temporären Freizeitparks keinerlei Infektionsgeschehen. Ich glaube, dass Veranstaltungen möglich sind. Wenn eine Herdenimmunität erreicht ist, ist die Sache viel einfacher. Aber eins muss ganz klar gesagt werden: Kirmes ist draußen an der frischen Luft. Forscher haben gerade erst gesagt, dass dort die Gefahr einer Infektion äußerst gering ist. Das sollte man in die Planungen mit einbeziehen. Man kann bei geschlossenen Dingen wie einer Geisterbahn die Masken aufbehalten oder im Autoscooter nur mit einer Person fahren. Wenn ein Baumarktbesuch möglich ist, dann muss eine Kinderkarussellfahrt an der frischen Luft mit entsprechenden Abstandsregeln schon lange möglich sein.

Bis zum August wird es keine Herdenimmunität geben. In welcher Form können Sie sich eine Veranstaltung auf dem Cranger Kirmesplatz vorstellen?

Im Allgemeinen sollten die Städte Volksfeste nicht verfrüht absagen, sondern weiterplanen und schauen, dass die Voraussetzungen gegeben sind, dass Volksfeste durchgeführt werden können. Und wenn der Termin naht, sollten sie anhand der aktuellen Infektionslage entscheiden und das Bestmögliche daraus machen. Wenn die Menschen geimpft sind, kann man genauso Kirmes feiern wie in den Vorjahren.

Aber in diesem Jahr würden die Menschen wohl kaum mit einem besonders guten Gefühl auf eine Kirmes gehen, wenn nicht der allergrößte Teil der Bevölkerung geimpft ist. Werden die Menschen kommen, wenn etwas auf Crange stattfindet?

Die Menschen sind hungrig nach Kirmes und nach Gemeinschaft, sie sehnen sich danach, nicht mehr eingesperrt zu sein. Und wenn wir die technischen, hygienischen und medizinischen Voraussetzungen haben, uns zu begegnen, dann sollten wir das tun. Ich spüre sehr deutlich, dass die Menschen Volksfeste möchten. Wenn irgendwie etwas geht, sollten wir das ermöglichen.

Die Stadt Herne plant die Cranger Kirmes ja ganz normal, weil zum Beispiel Verträge geschlossen werden müssen. Wie sehen Sie eine verkleinerte Kirmes, bei der dann aber nicht jeder Schausteller dabei sein kann?

Die Schausteller möchten natürlich, dass niemand zurückgelassen wird und alle die Cranger Kirmes wieder zu dem größten Volksfest in NRW machen können. In der kommenden Woche gibt es wieder Gespräche mit der Stadt Herne. Da werden wir dann die Möglichkeiten erörtern, wie man etwas möglichst Positives gestalten kann.

Aber es scheint doch sehr der Wunsch zu bestehen, dass zumindest ein kleines Kirmesfähnlein hochgezogen wird, wenn es die Infektionslage zulässt.

Wir hoffen nicht nur auf ein kleines Kirmesfähnlein, sondern wir wollen das, was man verantwortbar machen kann, auch machen. Wie gesagt: Wir haben die Erfahrungen mit den Hygienemaßnahmen in den Freizeitparks.

Stichwort Freizeitparks. Es gab einen in Dortmund und einen in Düsseldorf. Haben Sie Erkenntnisse, ob diese sich gelohnt haben?

Ich würde in der jetzigen Situation gar nicht so sehr das Finanzielle in den Vordergrund stellen, sondern das gesellschaftliche Miteinander. Man hat gespürt, dass die Menschen so etwas wollen. Dass so ein Freizeitpark mit reguliertem Zugang etwas anderes ist als unsere geliebte Cranger Kirmes, ist ganz klar. Aber wir sollten jeden Versuch unternehmen, verantwortungsvoll etwas auf die Beine zu stellen.

>> KEINE NORMALE KIRMES

■ Oberbürgermeister Frank Dudda hat bereits vor einigen Wochen angekündigt, dass es in diesem Jahr noch keine normale Kirmes geben werde.

■ Im vergangenen Jahr hatte die Stadt eine Zeit lang eine Verlegung der Kirmes in den Oktober geprüft, diesen Ansatz dann allerdings verworfen und ganz abgesagt.

■ Auch der Cranger Weihnachtszauber fiel wegen der Pandemie aus.