Herne. Shosha Wittrock ist 18, hat Asthma und war seit einem Jahr nicht mehr in der Schule. Dennoch schreibt die Hernerin kommende Woche ihr Abitur.

Ein Nebenraum vom Wohnzimmer ihrer Eltern ist seit mehr als einem Jahr ihr Klassenzimmer: Die Hernerin Shosha Wittrock hat Asthma. Sie gehört somit zur Risikogruppe für einen schweren Verlauf bei einer Corona-Erkrankung. Deshalb hat die 18-Jährige seit mehr als einem Jahr keinen einzigen Tag Präsenzunterricht in der Schule erlebt – und schreibt in der kommenden Woche dennoch ihr Abitur.

Am Freitag, den 13. März 2020, verlässt Shosha zum letzten Mal den Unterricht am Pestalozzi-Gymnasium. Dass es der letzte Schultag ihres Lebens sein würde, ahnt sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. „Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich diesen Tag wohl viel bewusster wahrgenommen“, sagt sie. So erinnert sie sich noch an die Klausur im Deutsch LK an diesem Tag und auch, dass in der Schule schon etwas Unruhe herrschte wegen der Nachrichten rund um das zu jener Zeit neue Coronavirus.

Asthmatikerin hat seit einem Jahr keine Freundin getroffen

Die Schulen schließen und die Oberstufenschülerin bleibt wie alle Menschen in Deutschland zu Hause. Shosha und ihren Eltern ist schnell klar, dass die Gefahr durch Covid-19 für sie besonders groß ist. „Wenn ich nur Schnupfen habe, wird es bei mir sofort eine Bronchitis.“ Zweimal am Tag nimmt die 18-Jährige wegen ihrer Asthma-Erkrankung Cortison. Für Shosha und ihre Familie ändert sich von jetzt auf gleich das gesamte Leben.

Gerne lernt Shosha Wittrock auch im Garten des Elternhauses in Constantin.
Gerne lernt Shosha Wittrock auch im Garten des Elternhauses in Constantin. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Aus Sorge um die Gesundheit der Tochter igelt sich die Familie von nun an in ihrem Haus und Garten in der Nähe des Gysenbergparks in Constantin komplett ein. „Wir haben niemanden mehr getroffen“, sagt Shosha. Und das bis heute. „Mit meiner besten Freundin telefoniere ich einmal in der Woche“, das haben die beiden Mädels so ausgemacht. Hin und wieder trifft sie sich auch in Video-Chats. Ansonsten verbringt sie viel Zeit mit ihren Eltern. Sie spielt Geige in ihrem Zimmer, liest oder schaut am Abend eine Fernseh-Serie.

Hernerin bringt sich Abitur-Stoff selbst bei

Und sie lernt. Viel und allein. Seit fast einem Jahr muss sie sich den Lernstoff für das Abitur selbst erarbeiten. Denn als all ihre Freunde wieder in die Schulen zurück dürfen, rät Shoshas Arzt ihr ab. Zu viele Mitschüler, zu viel Risiko. Die Schule zeigt sich kooperativ und versucht, der 18-Jährigen aus der Ferne zu helfen. Der Stufenleiter erkundigt sich regelmäßig bei der Schülerin. Faktisch ist Shosha dennoch im Alltag auf sich alleine gestellt. „Ohne das Internet wäre es undenkbar gewesen“, sagt sie. So googelt sie sich Antworten zusammen, schaut Erklärvideos. Es sei alles etwas umständlicher, als wenn man mal eben dem Lehrer eine Frage stellen kann.

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„Aber ich versuche, immer das Positive zu sehen“, sagt sie und wirkt trotz der nahenden Prüfungen recht entspannt. „Ich bin auf das eigenständige Arbeiten für die Uni nun gut vorbereitet.“ Außerdem fühlt sich das Einzelkind auf eine Art auch privilegiert, da sie immerhin ein eigenes Zimmer und einen Garten habe. Aber natürlich gebe es auch negative Momente. Der Alltag fehlt der 18-Jährigen; „einfach morgens zur Bushaltestelle zu gehen und zur Schule zu fahren“. Und: „Ich vermisse meine Freunde.“ Denn immer nur per Video zu sprechen sei einfach nicht das gleiche.

Für Klausuren musste sie in die Schule

Shosha vermisst die Schule, mitzuerleben, was im Klassenraum vor sich geht. Sie freut sich sehr, als sie im Januar an gemeinsamen Videokonferenzen der Stufe teilnehmen kann. Doch dann dürfen die Abiturienten zur besseren Vorbereitung zurück an die Schule. Shosha bleibt zu Hause. Das Pestalozzi-Gymnasium betritt sie im vergangenen Jahr nur zu den Klausuren. Denn technisch sei es nicht möglich gewesen, dass sie diese online schreibt. Doch auch da habe ihr die Schule eine größtmögliche Sicherheit ermöglicht: „Ich bin immer 15 Minuten später gekommen als die anderen und habe in einem eigenen Klassenraum geschrieben“, sagt sie.

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Lange hat die Hernerin die Hoffnung, dass Corona vorüber geht, dass sie geimpft wird und wieder zurück in den Unterricht kann. „Anfang des Jahres wurde mir dann bewusst, dass es wohl nie mehr sein wird.“ Was in diesem Jahr alle Abiturienten nur eingeschränkt erleben: Treffen, Ausflüge, Motto-Woche, das letzte Schuljahr – ihr fehlt es komplett.

Positiver Blick auf die Zukunft

Nun stehen die Abiturprüfungen an: Deutsch und Englisch als Leistungskurs, Biologie und Geschichte als 3. und 4. Fach. „Ich habe schon etwas Angst“, gesteht sie ein. Eine Sorge teilt sie mit vielen Abiturienten in diesem Jahr: Wird in der zentralen Prüfung Stoff abgefragt, der bei ihr aufgrund der Pandemie nicht durchgenommen wurde? Doch dazu gesellt sich eine weitere belastende Angst. Die um ihre Gesundheit. Denn sie weiß noch nicht, ob sie die Abschlussprüfungen im selben Raum mit allen anderen schreiben muss.

Shosha Wittrock blickt nach vorne. Wenn sie geimpft ist, möchte sie erstmal in den Urlaub. Am liebsten nach Holland ans Meer. Sie möchte ihren 18. Geburtstag nachfeiern und studieren – gut darauf vorbereitet ist sie ja nun.

>>> ABITURPRÜFUNGEN AB 23. APRIL

• Die zentralen Abiturprüfungen wurden aufgrund der Corona-Pandemie verschoben und beginnen in NRW nun am Freitag, 23. April, und enden am Mittwoch, 5. Mai. Danach folgen die Nachschreibetermine und die mündliche Prüfung.

• Laut Corona-Betreuungsordnung dürfen anders als beim Unterricht an den Abschlussprüfungen auch Schülerinnen und Schüler teilnehmen, die nicht auf das Coronavirus getestet wurden.