Herne. Ein Herner Mediziner forscht seit einigen Monaten zu den Auswirkungen des Coronavirus auf den Körper. Nun gibt es Erkenntnisse zu Blutgerinnseln.
Bereits fast ein ganzes Jahr lang beschäftigt das neuartige Coronavirus Mediziner und Forscher auf der ganzen Welt. Ihr Ziel ist es unter anderem, die Behandlung von Patienten zu verbessern. Dies gelingt nur dann, wenn sie verstehen, was genau das Virus im menschlichen Körper bewirkt. Einer dieser Forscher ist Prof. Dr. Timm Westhoff, Direktor der Medizinischen Klinik I des Marien Hospital Herne. Er und sein Team haben nun untersucht, warum viele schwer Erkrankte Blutgerinnsel in ihren Gefäßen entwickeln.
Diese Erkenntnis kann dabei helfen, eine geeignete Behandlungsmöglichkeit zu finden. Ihre Forschungsarbeit wird nun in dem internationalen intensivmedizinischen Fachmagazin „Critical Care Medicine“ veröffentlicht.
Der Einfluss des „Von-Willebrand-Faktors“
„Im Laufe des vergangenen Jahres wurde festgestellt, dass eine Infektion mit SARS-CoV-2 nicht nur die Lunge betrifft, sondern auch die Innenwand von Gefäßen und dort Gefäßverschlüsse verursacht“, so Professor Westhoff. „Davon sind nicht unbedingt nur die großen Gefäße betroffen, wie beispielsweise bei einer Beinvenenthrombose oder Lungenembolie, sondern es kommt zu Verschlüssen der kleinsten Gefäße in unserem Körper, wie den Lungenkapillaren.“
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Die Arbeitsgruppe von Prof. Westhoff untersuchte, welcher Mechanismus für die Entstehung dieser Gerinnselbildung verantwortlich ist. Die Wissenschaftler konnten den sogenannten „Von-Willebrand-Faktor“ als eine mögliche Ursache identifizieren. „Dabei handelt es sich um ein Eiweiß im Blut, das immer dann freigesetzt wird, wenn eine Gefäßinnenschicht geschädigt wird. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn man sich in den Finger schneidet. Es erzeugt dann eine Art Spinnennetz, an dem sich die Blutplättchen festsetzen können, um so die entstandene Wunde zu verschließen“, erklärt der Herner Mediziner.
Überproduktion des eigenen Körpers
Ist eine Person an Covid-19 erkrankt, könne das Virus zu einer Schädigung der Gefäßinnenschicht im gesamten Körper führen. Dies habe zur Folge, dass eine zu große Menge des Von-Willebrand-Faktors freigesetzt wird. Die geschädigte Gefäßinnenschicht setze viel zu viel von dem Eiweiß frei, so dass sich die „Spinnennetze“ auch innerhalb der Gefäße ausbilden. Normalerweise komme dann ein bestimmtes Enzym mit dem Namen ADAMTS13 zum Einsatz. Es funktioniere wie eine Schere und zerschneide die Netze, wenn sie zu viel sind oder sich an Stellen bilden, die nicht verschlossen werden dürfen – wie beispielsweise Gefäße. Insbesondere bei schwer an COVID-19 erkrankten Patienten werde jedoch so viel Von-Willebrand-Faktor freigesetzt, dass die Schere nicht ausreiche, um die entstehenden Netze zu durchtrennen. In diesem Fall könne es zu Verschlüssen der kleinen Gefäße kommen.
Es kommt auf das Verhältnis an
Für seine Studie hat das Team um Prof. Westhoff das Blut von 75 Covid-Patienten mit mildem bis schwerem Verlauf untersucht und mit dem Blut von gesunden Menschen verglichen. Die Forscher fanden heraus, dass das Verhältnis von Von-Willebrand-Faktor und ADAMTS13 im Körper eine entscheidende Rolle für den Verlauf der Krankheit spielt. „Bei den untersuchten Patienten mit Covid-19 war der Von-Willebrand-Faktor über viermal so hoch wie bei den Gesunden. Bei 19 Prozent der Patienten war davon auszugehen, dass für die vorhandene Menge des Von-Willebrand-Faktors unzureichend ADAMTS13 mit seiner Scherenfunktion zur Verfügung stand. „Je höher das Verhältnis Von-Willebrand-Faktor zu ADAMTS13 war, desto wahrscheinlicher war es, dass der Patient seine Erkrankung nicht überlebt“, fasst Westhoff zusammen.
„Die gute Nachricht ist, dass man Von-Willebrand-Faktor mit Hilfe der sogenannten Plasmapherese aus dem Körper entfernen kann. Bei dieser Form der Blutwäsche wird das Blutplasma gefiltert und die Eiweiße des Patienten gegen Eiweiße gesunder Menschen ausgetauscht. Diese Befunde legen nahe, dass man zeitnah untersuchen sollte, ob man mit der Plasmapherese schwer an COVID-19 erkrankten Patienten helfen kann. Erste Studien laufen bereits.“
>> NICHT DIE ERSTE FORSCHUNG ZU CORONA AM MARIEN HOSPITAL
■ Die Forschung zum Von-Willebrand-Faktor ist nicht die erste, die am Marien Hospital zum Thema Corona durchgeführt worden ist.
■ So konnte ein Team um Prof. Westhoff und Prof. Dr. Nina Babel bereits zeigen, dass für die Antwort des Immunsystems nicht nur das bekannte Spike-Protein, sondern auch zwei andere Proteine eine Rolle spielen. Das könnte eine Rolle bei der weiteren Entwicklung von Impfstoffen spielen.
■ In einer anderen Studie konnten die Herner Forscher zeigen, dass auch das Immunsystem von chronisch Kranken Antikörper gegen das Corona-Virus bilden kann.
■ In einer weiteren Studie konnten die Herner Forscher - gemeinsam mit Kollegen aus dem Ruhrgebiet - zeigen, dass nicht eine zu schwache, sondern eine überschießende Immunreaktion schwere Verläufe auslösen kann.