Herne. Urban-Arts-Künstler fördern: Das ist die Idee hinter dem ersten Residenzprogramm von Pottporus. Was das für Künstler bedeutet.

„Urban Arts zu stärken, dafür steht der Verein Pottporus“, betont Sprecherin Uta Graßhoff. Wo liegen die Bedarfe, was brauchen die Künstler? Diese und weitere Fragen führten dazu, ein Residenzprogramm für Urban Arts aufzulegen. Es ist das erste, das sich speziell an diese Zielgruppe wendet. Bewerben konnten sich Künstler, Tänzer, Choreografen und Kollektive aus diesem Bereich. Am Montag startet mit Krump-Tänzer Kwame Osei der erste Residenz-Künstler sein dreiwöchiges Rechercheprojekt im Produktionsraum in den Flottmann-Hallen.

„Bei Kwame Osei passte einfach alles“, erklärt Uta Graßhoff. Pottporus verfolge seinen Weg schon etwas länger und finde die Kombination, die er mitbringt, spannend. Denn der 33-Jährige Tänzer ist mit drei Musikern unterwegs. „Das war ausschlaggebend für die Jury, ihn als ersten Residenz-Künstler zu wählen.“ Zudem sei er einer der besten Tänzer in seinem Bereich, den es in Deutschland aktuell gibt. Insgesamt gab es 15 Bewerber, aus denen die Jury - bestehend aus Professor Malou Airaudo, künstlerischer Leiter des Tanzkollektivs Renegade, Zekai Fenerci, Geschäftsführer und künstlerischer Leiter von Pottporus, und Anna-Lena Werner, Produktionsleiterin von Renegade - auswählte. Voraussetzung für die Bewerbung war neben den Urban Arts, das mindestens einer der Künstler seinen Wohnsitz in Deutschland hat.

Künstler finden kaum Proberäume

„Für die Künstler ist es unheimlich schwierig an Probenräume zu kommen“, weiß Uta Graßhoff. Corona erschwere die Situation zusätzlich. Durch das Residenzprogramm können sie drei Wochen den Produktionsraum in den Flottmann-Hallen kostenlos nutzen, ihre Ausrüstung dort unterstellen und erhalten zusätzliche Unterstützung auch im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Auch Vernetzung wird in Form eines Mentorings durch Pottporus angeboten - falls gewünscht. Finanziert wird das Residenzprogramm durch eine Förderung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes und durch die Stadt Herne.

Expressiver Tanz aus Amerika

Krump ist ein urbaner Tanzstil, der auf den Straßen von Los Angeles in der afroamerikanischen Community entstanden ist.

Der Tanz ist temporeich, expressiv und mag für manch Außenstehenden aggressiv wirken. „Was er aber überhaupt nicht ist“, betont Uta Graßhoff. „Die Bewegungen können explosiv sein, aber das zarteste Gefühl ausdrücken.“

Normalerweise werde Krump als „Battle“ getanzt, mit einer anfeuernden „Crowd“ ringsherum. Interessant sei, herauszufinden, wie es auf der Bühne wirkt.

„Wir sind total dankbar, dass wir hier ungestört unser Projekt machen können“, sagt Kwame Osei, der total überrascht ist vom tollen Tanzboden im Produktionsraum. „Der ist perfekt, weil er gut dämpft.“ Der Tänzer und seine Musikerkollegen Lovelace Nana Yaw (27), Bernard Baffour-Awuah (36) und Derrick Dwomoh (26) hätten aktuell ansonsten keine Chance, sich zum Proben zu treffen. Kennengelernt haben sich die vier in einem Chor, in dem sie alle aktiv waren. „Es ist schon ungewöhnlich, als Tänzer eine feste Musikerbegleitung zu haben“, erklärt Kwame Osei, der tanzt, seit er neun Jahre alt ist. „Normalerweise springt man von Projekt zu Projekt.“

Radikalisierung tänzerisch aufarbeiten

Schlagzeug, Bass und Keyboard sollen den richtigen Rhythmus für seine Tanzperformance geben: „Wir wollen versuchen, verschiedene Music-Pattern, also rhythmische Strukturen, zu finden, die das Thema in Taten umsetzen.“ Die Künstler wollen sich mit den Mechanismen und Strukturen individueller und kollektiver Radikalisierung auseinander setzen. „Warum radikalisieren sich Menschen?“ lautet die Hauptfrage. Die Künstler wollen darüber sprechen, sich gegenseitig beeinflussen, einen gemeinsamen Nenner finden. „Das wird ein Rhythmus sein, der im Moment entsteht“, glaubt Kwame Osei, der in Gelsenkirchen lebt, gebürtig aus Ghana kommt. „Vielleicht nehmen wir musikalische Elemente aus dem Jazz oder unseren afrikanischen Roots. Wir geben auf jeden Fall Gas und sind motiviert.“

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Zwar werde es eine Art Abschlusspräsentation geben, wie diese aussehe, sei aber völlig offen, betont Uta Graßhoff. „Es muss keine Produktion am Ende stehen“, betont sie. Die Künstler können völlig ergebnisoffen experimentieren. Vorgaben gebe es nicht. „Ob es am Ende eine kleine Aufführung, ein Video oder etwas Schriftliches gibt, bleibt ganz den Künstlern überlassen.“ Die zweiten Residenzkünstler seien übrigens schon ausgewählt: es handele sich um ein Kollektiv aus Kassel, das Anfang November startet.