Herne. Nach dem unfreiwilligen Frühlingsschlaf haben die Herner Flottmann-Hallen ruhrgebietsweit mit als erste das Kulturleben wiedergeweckt.
Etwa zwei Monate ist es her, dass in den Flottmann-Hallen der vorerst letzte Applaus verhallte und eine Zeit der brotlosen Kunst, nicht bloß in das Herner Kulturleben einzog. Doch so langsam erwacht dieses aus seinem unfreiwilligen Frühlingsschlaf und wagt am vergangenen Wochenende den ersten Schritt in Richtung Normalität.
Das erste Kultur-Open-Air startet am Freitagabend zwar unter Auflagen, doch die nach schon wenigen Tagen ausverkaufte Melange von Matthias Reuter und des unorthodoxen Jazz-Trios Wildes Holz zeigt, wie sehr ein solches unmittelbares Erlebnis den Menschen vor und auf der Bühne gefehlt hat. Paarweise haben die Gäste in ihren vier Quadratmetern Platz genommen haben, wo sie sich ihrer Atemschutzmasken entledigen und ein geschmackvolles Programm voller Schwung genießen dürfen.
Flottmann-Hallen haben sich früh Gedanken über ein Programm gemacht
Da klingt der einsetzende Applaus unter freiem Himmel geradezu befreiend, und selbst die bedrohliche Wolkendecke vermag niemandem die Laune zu vermiesen, als der Kontrabass seine ersten Töne vor Fremden seit Langem von sich gibt und ein Geflecht aus perkussivem Gitarrenanschlag und leitender Blockflöte den kurz bevorstehenden, wohl seltsamsten Sommeranfang der vergangenen Jahre einleitet.
Der Aufwand bis hier hin sei riesig gewesen, erzählt Christian Strüder von den Flottmann-Hallen, der zusammen mit seinem Team und trotz Maske endlich wieder aufatmen könne: „Wir haben uns schon recht früh Gedanken gemacht, wie wir das Programm wieder zum Laufen bringen können, Ende April stand dann ein Konzept“.
Musiker sind sehr froh, wieder live spielen zu können
Sichtbar erfreut begrüßt auch Matthias Reuter das Publikum, der pünktlich zum zehnten Jahrestag der Kulturhauptstadt 2010 der Erinnerung an damals ein Lied über rauchende Schlote geschrieben hat – ein Ruhrpott-Reggae vor wiederbelebter Industriekulisse. Das erste Konzert, dass in Deutschland nach zwei Monaten unter freiem Himmel stattfinden dürfe, sei in etwa so wie Woodstock, scherzt der Kabarettist aus Oberhausen und leitet mit solch humorvollen Einschüben zum immer nächsten virtuosen Stück der vier wie Pech und Schwefel ein, wie sie sich selbst nennen.
Open-Air wird fortgesetzt
Der in Wanne-Eickel geborene Singer-Songwriter Sebel - alias Sebastian Niehoff - hat bereits während der Coronakrise aufhorchen lassen. Er schrieb mit „Zusammenstehn“ einen Song zur Krise, der in kurzer Zeit bei Youtube zwei Millionen Mal aufgerufen wurde. Daraufhin schickten ihm Musiker und Sänger Aufnahmen aus ihren Heimstudios.
Alle Informationen zum kommenden Programm unter: www.flottmann-hallen.de
Wie bestellt fegt eine Windböe während des Blockflöten-Solos durch die Bäume, lässt Grashalme tanzen und Kapuzen einiger Gäste aufblähen. Geprobt habe man zusammen mit viel Abstand in einem Saal, um sich auf das gemeinsame Konzert vorzubereiten, erzählt Bassist Markus Conrads nach der vom Regen glücklicherweise verschonten Show. „Die letzte Zeit war eine große Ungewissheit, als das wegfiel, womit wir unseren Lebensunterhalt bestritten. Aber ich spreche, glaube ich, für alle, wenn ich sage, dass es uns allen gefehlt hat live zu spielen“, fasst Conrads die vergangenen Wochen und die Gegenwart zusammen.
Sebel bringt die Zuhörer zum Mitklatschen und Singen
Tag zwei beginnt etwas weniger besucht, doch bleiben auch hier nur wenige Stühle unbesetzt, was jedoch gut und gerne an den Wettervorhersagen liegen kann. Für Liedermacher Sebel überhaupt kein Problem, der sich zusammen mit seiner Band ungläubig dem Genuss hingibt, endlich wieder echte Gesichter zu sehen und Applaus zu hören. Er singt Lieder über die zwecklose Suche nach Trost an Tresen im nirgendwo, über die kleinen Dinge, die gerne übersehen werden oder über einen Tag am Meer, der schließlich Anstoß zum Mitklatschen- und Singen gibt.
So voll und beachtlich dicht der Sound von der kleinen Bühne auch schallt, meint es der Wettergott an diesem Abend zumindest für eine Weile nicht gut mit allen Anwesenden. Und da ein deftige Regenschauer nicht genügt, kommen auch noch Hagelkörner an diesem so seltsamen Sommerbeginn hinzu. Die Technik geht schließlich in die Knie und das Gitarrensignal verloren, doch der stämmige Mann aus dem Ruhrpott ist Pragmatiker uns stellt kurzerhand ein Mikrofon vor den Resonanzkörper seiner Akustikgitarre. Das charmante Lachen der Dame zu seiner Seite spendet zusätzlich Trost, und glücklicherweise bleiben Cello und Klavier vom Regen unbeeindruckt. Doch Schmuselieder verleiten ohnehin dazu, unter aufgespannten Regenschirmen zusammenzurücken, und nach einer Weile verzieht sich die Wolkendecke wieder. Problem gelöst, Abend gerettet und das Konzert zu einem runden Abschluss gebracht. Nach zwei Monaten Stille ist der Neustart an den Flottmann-Hallen geglückt.
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