Herne. Das geplante Notstandsgesetz der Landesregierung stößt in Herne auf Vorbehalte. Welche Punkte des schwarz-gelben Entwurfs kritisiert werden.
Das von der Landesregierung geplante Notstandsgesetz stößt in Herne auf Kritik und einige Vorbehalte.
Politik
Nicht nur der Herner SPD-Landtagsabgeordnete Alexander Vogt hat Probleme mit dem von Schwarz-Gelb vorgelegten Entwurf. In einem Punkt - die zwangsweise Dienstverpflichtung von Berufsgruppen aus dem Gesundheitsbereich - meldet sein FDP-Kollege Thomas Nückel Korrekturbedarf an: „Auch in Zeiten der Pandemie muss die Bedeutung der Grundrechte der Menschen hochgehalten und geschützt werden.“ Deshalb werde das Paket nun erst nach einer Beratung mit Experten beschlossen. Viele Punkte in dem Entwurf zum „Epidemiegesetz“ hätten jedoch ihre aktuelle Berechtigung. Auch Vogt (SPD) zielt auf die von Nückel kritisierten Pläne. Bestimmte Berufsgruppen wie zum Beispiel Ärzte, Pfleger oder Apotheker zur Arbeit zwingen zu wollen, greife in Grundrechte ein, so der Sozialdemokrat. Wichtiger wäre es, vor allem Pflegekräften endlich besser zu bezahlen.
Krankenhäuser
Deutliche Kritik gibt es von der St. Elisabeth Gruppe, die wie andere Krankenhausträger nach den Plänen von Schwarz-Gelb verpflichtet werden könnten, in Epidemien auf Anordnung des Landes zusätzliche Behandlungskapazitäten zu schaffen. „Wir sind überrascht über das Vorgehen der Landesregierung, zumal wir und andere Krankenhausvertreter in der Vergangenheit immer darauf hingewiesen haben, dass wir zusätzliche Behandlungskapazitäten, insbesondere intensivmedizinische Betten benötigen“, so die Gruppe, die Trägerin des Marien Hospitals und St. Anna Hospitals ist. Dies sei bisher immer abgelehnt worden.
„Wir halten es auch nicht für richtig, dass Politiker und nicht der Mediziner, der den Patienten behandelt, über die Notwendigkeit von medizinischen Behandlungen entscheidet“, so Theo Freitag, Geschäftsführer der Gruppe. Sie wüssten zudem gern, wie die Landesregierung den Begriff „elektive Eingriffe“ - diese sollen künftig in Epidemiezeiten zur Disposition stehen - exakt definiere. „Sind es Operationen, die nicht als Not- oder dringliche Operation gelten, weil sie nicht sofort oder innerhalb von 24 Stunden erfolgen müssen oder nicht lebensrettend sind? Bei dieser Definition wären Krebsoperationen und damit verbundene geplante Chemotherapien ebenso ausgeschlossen wie die Behandlung von Hüftgelenksentzündungen, Bandscheibenvorfällen oder Herzrhythmusstörungen.“ Dies halte er grundsätzlich und auch in der aktuellen Situation ethisch für nicht vertretbar, so Freitag. Das Evangelische Krankenhaus gab auf Anfrage der WAZ keine Stellungnahme ab.
Stadt
Es sei richtig, dass das Land schnell auf die Krise reagiere, sagt Stadtkämmerer Hans Werner Klee. Bezüglich des Herner Haushalts gebe es auch positive Ansätze in dem Gesetz. Aber: Es müssten dringend noch Korrekturen vorgenommen werden. Die sich schon jetzt abzeichnenden „außerordentlichen Belastungen“ für die Kommunen - für Herne ein Minus im mittleren zweistelligen Millionenbereich - fänden keine Berücksichtigung in dem Entwurf der Landesregierung. „Hier muss es unbedingt Nachbesserungen geben“, so Klee. Zurzeit gültige Paragraphen u.a. zu Haushaltssperren müssten in Zeiten der Krise außer Kraft gesetzt werden.
Und: Auch über ein Notstandsgesetz hinaus bestehe Handlungsbedarf: „Kommunen brauchen ebenfalls einen Rettungsschirm“, so Klee in Anlehnung an eine Forderung des Deutschen Städtetags. Der FDP-Landtagsabgeordnete Thomas Nückel kündigt am Dienstag an, dass das Land dies durchaus auf der Rechnung habe: „Nordrhein-Westfalen will auch Städten wie Herne bei der finanziellen Bewältigung der Corona-Krise helfen.“ Auch die Gemeinden und Gemeindeverbände sollen Finanzmittel aus dem 25 Milliarden Euro umfassenden Rettungsschirm des Landes erhalten können. Finanzschwache Kommunen im Landesprogramm „Stärkungspakt“ sollen besonders unterstützt werden, so Nückel, damit konjunkturelle Einbrüche infolge der Corona-Krise nicht bisher erreichte Haushaltskonsolidierungen gefährdeten.
Schulen
Dass das Sitzenbleiben laut Gesetz grundsätzlich ausgesetzt werden könnte, stößt bei Christiane Schmitz auf Widerspruch. Die persönliche Meinung der stellvertretenden Leiterin der Realschule Crange: „Eine Versetzung unter allen Umständen finde ich problematisch.“ Damit tue man auch Schülern mit ganz schlechten Noten keine Gefallen. Man sollte vielmehr von Fall zu Fall entscheiden. Das gelte auch für die Schüler in der Erprobungsstufe 6, so Schmitz. Für die Hans-Tilkowski-Schule werde das Gesetz eher geringe Auswirkungen haben, erklärt Lothar Heistermann, Leiter der Hauptschule. Leistungsschwache Schüler blieben in der Regel sowieso in ihren Klassenverbänden: „So können wir sie besser fördern.“
Die Landtagsabgeordneten im O-Ton
Schießt die Landesregierung mit ihrem geplanten Notstandsgesetz übers Ziel hinaus? Die Antworten der beiden Herner Landtagsabgeordneten von SPD und FDP auf die Frage der WAZ im O-Ton.
Thomas Nückel (FDP): „Ja, die Landesregierung ist mit Ihrem Entwurf über das Ziel an einem Punkt hinausgeschossen. Auch in Zeiten der Pandemie muss die Bedeutung der Grundrechte der Menschen hochgehalten und geschützt werden. Die FDP hat deswegen die Verabschiedung am Mittwoch abgelehnt. Und es gilt die alte Regel ,Kein Gesetz verlässt den Landtag, wie es als Entwurf hineingekommen ist.’ Deshalb wird im Landtag nur eine Überweisung an die Fachausschüsse zu dem Entwurf beschlossen, die dann schnell zu einer Anhörung mit Sachverständigen und Experten einladen. Es deutet sich an, dass der Landtag dann am Donnerstag nächste Woche die Beratung weiterführt, da viele Punkte in dem Entwurf zum ,Epidemiegesetz’ ihre aktuelle Berechtigung haben. “
Alexander Vogt (SPD): „Wenn die schwarz-gelbe Landesregierung die Freiheitsrechte von Pflegekräften, Ärztinnen und Ärzten, Rettungskräften, Apothekerinnen und Apothekern sowie weiterer Beschäftigter im Gesundheitswesen einschränkt und sie zur Arbeit zwingen will, schießt das ganz klar übers Ziel hinaus. Solche verfassungsrechtlich höchst bedenklichen Maßnahmen sind auf Bundesebene zurecht nicht vorgesehen, schließlich greifen sie in die Grundrechte der betroffenen Menschen ein. Dass die Laschet-Regierung diesen Menschen, die bereits bis zur Erschöpfung arbeiten, mit Misstrauen begegnet und mit Zwangsmaßnahmen droht, ist mir unbegreiflich. Viel wichtiger wäre es, vor allem Pflegekräften endlich eine bessere Bezahlung zukommen zu lassen.“