Herne. Immer mehr Menschen treten in Herne aus der Kirche aus. Katholische Missbrauchsfälle sorgen auch in evangelischen Kirchen für Vertrauensverlust.
Die evangelischen und katholischen Kirchen in Herne haben im vergangenen Jahr wieder eine erhebliche Zahl an Mitgliedern verloren. Insgesamt 708 Menschen sind 2019 nach Angaben der Amtsgerichte Wanne und Herne aus den Kirchen ausgetreten. Dabei kehrten 351 Mitglieder der protestantischen Kirche den Rücken, 357 Menschen verließen die katholische Kirche.
Damit liegen die Austrittszahlen in Wanne-Eickel und Herne seit fünf Jahren auf einem Höchstwert. 2018 waren es 541 Menschen, die sich für einen Austritt entschieden – 2017 waren es 484.
Katholische Missbrauchsfälle haben Einfluss auf evangelische Kirche
Diese Entwicklung hat nach Ansicht von Arnd Röbbelen, Öffentlichkeitsreferent des evangelischen Kirchenkreises, mehrere Gründe. So bekomme die evangelische Kirche durchaus zu spüren, wenn die katholische Kirche in die Schlagzeilen gerät. Seien es Finanzskandale wie der des damaligen Limburger Bischofs Tebartz van-Elst 2015 oder aber auch Missbrauchsfälle, die in den vergangenen Jahren immer wieder an die Öffentlichkeit gelangten. „Auch wenn es eigentlich nur die katholische Kirche betrifft, steht dadurch natürlich auch die evangelische Kirche in einem schlechten Licht“, so Röbbelen.
Einen weiteren Grund für die Austritte sieht er darin, dass vor allem junge Leute Geld sparen wollen. „Die kommen aus der Schule, verdienen gerade ihr erstes Geld und sind dann häufig überrascht, wie viel ihnen abgezogen wird.“ Da einige von ihnen die Angebote der Kirche nicht nutzten, sei die Entscheidung leicht, die Kirche zu verlassen. Aber auch die Schwelle für einen Austritt sei sehr gering, erklärt Röbbelen. Das Ganze laufe anonym über die Amtsgerichte. „Nach den Gründen können wir erst fragen, wenn der Austritt schon vollzogen ist.“
Wöchentliche Friedensgottesdienste haben dem Image geholfen
Niedrige Schwelle zum Wiedereintritt
Die evangelische Kirche bietet allen Menschen, die die Kirche verlassen haben, ein Angebot, um wieder zurückzukehren.
Jeden Donnerstag von 16 bis 18 Uhr habe die Wiedereintrittsstelle in der Kreuzkirche geöffnet, erklärt Arnd Röbbelen.
Lediglich ein Ausweis müsse für den Wiedereintritt mitgebracht werden. „Das ist einfach und unbürokratisch“, erklärt er.
Das Selbstverständnis der Kirche habe sich zudem geändert, erklärt er. „Früher war man selbstverständlich Mitglied einer Kirche.“ Diese Haltung gebe es heute nicht mehr. Es werde viel hinterfragt, „vermutlich spielt auch die zunehmende Individualisierung eine Rolle“, so Röbbelen.
Deswegen sei es wichtig, die Attraktivität der Kirche wieder zu steigern und Zielgruppen-Angebote zu schaffen. Zu einen Imagegewinn hätten unter anderen die wöchentlichen Friedensgottesdienste beigetragen, die im Zuge der Demonstrationen gegen die sogenannten „besorgten Bürger“ in Herne stattgefunden haben und noch immer stattfinden.
Darüber hinaus müsse die Kirche versuchen, Kontakt zu den Menschen aufzunehmen, die aus der Kirche austreten wollen, so Röbbelen, „damit wir herausfinden, was wir besser machen können“.
Persönliche Gründe sorgen für einen Austritt
Transparenz schaffen und Vertrauen wieder aufbauen, das will auch die katholische Kirche. So sieht Pauline Wawrzonkowski, Dekanatsreferentin des Dekanats Emschertal, ebenfalls die Missbrauchsfälle in den vergangenen Jahren als einen möglichen Grund für die steigenden Austrittszahlen. „Das Wichtigste ist jetzt, dass alles schonungslos aufgearbeitet wird und wir so das Vertrauen der Menschen wieder zurückgewinnen“, sagt Wawrzonkowski.
Für viele sei ein Austritt der allerletzte Schritt, „nach einem langen Prozess des Zweifelns.“ Meist sei ein Austritt keine spontane Handlung. Neben den Skandalen seien aber auch ganz persönliche Gründe Auslöser für eine solche Entscheidung, erklärt sie. „Bei einigen ändert sich im Laufe des Lebens einfach die Weltanschauung.“
Auch die Entscheidung des Papstes, den Zölibat nicht zu lockern, habe viele enttäuscht. „Natürlich beschäftigt dieses Thema viele Menschen“, sagt Wawrzonkowski. „Ob das allerdings zu weiteren Kirchenaustritten führt, lässt sich nicht sagen.“