Herne. In Herne sind immer mehr Menschen überschuldet: Nur in drei Städten und Kreisen in Deutschland ist die Überschuldungsquote noch höher.
In Herne waren im vergangenen Jahr 23.967 Menschen überschuldet, 176 mehr als im Vorjahr, teilt die Wirtschaftsauskunftei Creditreform mit. Unter den 401 Städten und Kreisen in Deutschland landet Herne mit einer Überschuldungsquote von 18,26 Prozent auf Platz 398. Innerhalb der Stadt gibt es zum Teil große Unterschiede.
Auffällig: Die Überschuldung in Herne wächst und wächst von Jahr zu Jahr. Vor fünf Jahren waren „nur“ 21.566 überschuldet, immerhin 2401 weniger als 2019. „Man darf keine Wunder erwarten“, kommentiert Andrea Leyk, Leiterin der Schuldnerberatung Herne, die neuen Zahlen. Trotz aller Anstrengungen vor Ort seien die Menschen „ja nicht von jetzt auf gleich entschuldet“. Hauptauslöser für eine Überschuldung seien Einkommensverluste durch Schicksalsschläge wie Krankheiten, plötzliche Arbeitslosigkeit oder Tod des Partners. Viele Menschen gerieten auf diese Weise unverschuldet in die Schuldenfalle. Durchschnittlich stünden die Menschen, die in der Anlaufstelle des evangelischen Kirchenkreises Rat suchten, bei ihren Gläubigern mit 30.586 Euro in der Kreide.
Schuldnerberatung: Talsohle noch nicht erreicht
Dass Herne die Talsohle erreicht hat, glaubt sie nicht. Auch wenn die Arbeitslosenzahlen in Herne zuletzt deutlich gesunken seien, stimme sie die „gesamtwirtschaftliche Entwicklung“ in Deutschland nicht hoffnungsfroh, sagt Leyk zur WAZ. Damit sich die Quote nachhaltig verbessere, müssten „geeignete Arbeitsplätze“ für die Menschen in Herne geschaffen werden.
Immerhin: „Die Stadt versucht alles, um Schuldner zu unterstützen“, sagt die Einrichtungsleiterin. So könnten seit 2019 alle Arbeitslosen bei der Schuldnerberatung kostenlos Rat suchen; bislang konnten das nur Hartz IV-Empfänger. Das sei ein wichtiger Schritt, um Menschen dauerhaft entschulden zu können. Über 1800 Beratungen habe die Einrichtung 2019 durchgeführt, darunter knapp 600 intensive, die in ein Insolvenz- oder Vergleichsverfahren gemündet seien. „Wir haben gut zu tun“, sagt Leyk angesichts der Zahlen.
Unterschiede bei der Überschuldung in den Postleitzahlbereichen
Innerhalb Hernes gebe es bei der Überschuldung der Menschen zwar Unterschiede, das zeigt die Schuldnerquote nach Postleitzahlbereichen (siehe Grafik). So sind im Postleitzahlbereich 44627, zu dem auch das ländliche Holthausen gehört, „nur“ 14,8 Prozent der Menschen überschuldet, im Bereich 44653, zu dem auch Wanne-Nord gehört, sind es dagegen schon 21,6 Prozent.
Im Bundesdurchschnitt sank die Schuldnerquote sogar
Nach Definition von Creditreform sind all jene Menschen überschuldet, denen es dauerhaft nicht gelingt, mit ihren monatlichen Einnahmen die monatlichen Ausgaben zu decken.
Im Ruhrgebiet waren das im vergangenen Jahr 485.651 Menschen über 18 Jahre – fast 3000 mehr als 2018. Die Brisanz wird beim Vergleich zum Jahr 2011 deutlich, als 63.400 Bürger weniger überschuldet waren als aktuell.
Ruhrgebietsweit betrug die Schuldnerquote im vergangenen Jahr 14,30 Prozent – 0,11 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Zum Vergleich: In NRW stieg die Quote nur um 0,03 Prozent auf 11,72 Prozent. Im Bundesdurchschnitt sank sie sogar um 0,04 Prozent auf 10,0 Prozent.
Herne ist dagegen die Stadt mit der vierthöchsten Schuldnerquote in Deutschland, mehr Schuldner gibt es nur in Bremerhaven, Neumünster und Pirmasens.
Ein ausgeprägtes Nord-Süd-Gefälle wie in Essen oder Bochum gebe es in Herne aber nicht, sagt Philipp Böhme, Geschäftsführer von Creditreform Bochum. Herne stehe vielmehr „über alle Stadtteile recht schlecht“ dar; allenfalls einzelne Straßenzüge stünden besser da. So lande der Herner Postleitzahlbereich 44653 bei den „stärksten Schuldnerbrennpunkten“ im Ruhrgebiet gerade mal auf Platz 16. Andererseits tauche Herne unter den 20 Plätzen von „Best of Ruhrgebiet“ nicht einmal auf.
Kämmerer: Stadt steuert gegen
Und was sagt Hernes Kämmerer zu den Zahlen von Creditreform? „Grundsätzlich spiegelt sich diese Entwicklung in den hohen städtischen Sozialtransferleistungen wider“, so Hans Werner Klee zur WAZ. Daher steuere die Stadt insbesondere durch Bildungsangebote und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen sowie durch Unterstützung der Schuldnerberatungsstelle gegen diesen Trend.