Herne. Zwölf Verdachtsfälle auf Kampfmittel hat es in diesem Jahr in Herne bereits gegeben. Zuständiger Abteilungsleiter spricht von „konkreter Gefahr“.
Als ein Landwirt in Sodingen vor ein paar Wochen beim Pflügen seines Ackers auf eine Weltkriegsgranate stieß, wird er nicht schlecht gestaunt, sich vielleicht auch erschreckt haben. Tatsache ist: Auch 74 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges können jederzeit in Herne und Wanne-Eickel Kampfmittel auftauchen. In diesem Jahr gab es laut Stadt insgesamt zwölf Verdachtsfälle, bei denen drei Bomben gefunden wurden. Hinzu kamen zwei bis drei Munitionsfunde und eine Granate. Wo und wie viele Bomben sich noch in der Erde befinden, weiß niemand. Gefährlich sind sie dennoch.
„Im Prinzip sollte ich schon, wenn ich Stiefmütterchen pflanze, gucken, ob ich mich in einem Abwurfgebiet befinde“, sagt Michael Torkowski, als Abteilungsleiter für Allgemeine Ordnungswidrigkeiten bei der Stadt Herne auch für die Kampfmittelbeseitigung zuständig. Denn: „Wenn in die Erde eingegriffen wird, besteht immer die Gefahr, dass ein Blindgänger in Bewegung gesetzt und aktiv wird.“
Gefahrenbereich für Kampfmittel bei null bis acht Meter
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Kampfmittel wie Bomben, Granaten und Munition könnten sich auch oberflächennah befinden, warnt der Experte. Der Gefahrenbereich werde von null bis acht Meter angegeben. Und niemand wisse, welche Bomben in den Jahren nach dem Krieg bereits beseitigt oder entschärft wurden und wo in Herne, aber vor allem in Wanne-Eickel, das aufgrund des Hauptbahnhofes und der Großindustrie vor allem Abwurfziel war, noch Kampfmittel in der Erde schlummern.
Jeder Bürger kann beim Ordnungsamt der Stadt eine entsprechende Anfrage stellen. Sinnvoll sei diese besonders vor Bauvorhaben oder auch Umgestaltungen im Garten, bei denen in die Erde eingegriffen werde oder etwa vor dem Bau einer Terrasse, so Torkowski. Die Stadt leite die Anfrage dann an die Bezirksregierung Arnsberg weiter, die anhand von Luftbildern aus dem Jahr 1945 auswertet, ob an der entsprechenden Stelle eine Bombardierung stattfand.
Luftbildanalyse zeigt, ob es sich um Abwurfgebiet handelt
Die Luftbildanalyse zeige dann erstmal nur, ob es sich um eine Abwurfstelle handelt. Gibt es einen konkreten Verdachtspunkt, muss eine beauftragte Firma vor Ort kommen und durch die Erdoberfläche Messungen durchführen. Sollten diese einen Verdacht bestätigen, muss der Boden geöffnet werden. „Manchmal sind die Messungen aber nicht möglich, weil die Stelle zu nah an einem Gebäude liegt oder der Boden zu belastet ist“, so Torkowski weiter.
„Allein im Bereich des Kampfmittelbeseitigungsdienstes Westfalen-Lippe wurden im Jahr 2018 insgesamt 19.773 präventive Maßnahmen (zum Beispiel Kriegsluftbildauswertung, Ortstermine, Bohrlochsondierungen, Detektionen) durchgeführt“, teilt die Bezirksregierung Arnsberg auf Anfrage mit. Genaue Zahlen für die Stadt Herne kann sie - wie auch Torkowski - auf Anfrage nicht benennen.
Zahl der Bomben-Entschärfungen hat stark zugenommen
Fest steht aber: „In den vergangenen zwei bis drei Jahren hat die Zahl der Entschärfungen zugenommen“, sagt Michael Torkowski. Das liege vor allem an zahlreichen Baumaßnahmen wie der Emscher-Renaturierung, dem Bau der Autobahn, dem Kanalbau und insgesamt einem Boom in der Baubranche. Die Kampfmittelbeseitigungsdienste seien aus diesem Grund „derzeit mehr als ausgelastet“, teilt Arnsberg mit. Allein in NRW wurden laut Landesregierung im Jahr 2018 insgesamt 2.811 Bomben aufgefunden, vier Jahre zuvor waren es noch „nur“ 927.
„Eine systematische Auswertung aller Luftbilder ist aufgrund der Vielzahl der anlassbezogenen Anträge zur Luftbildauswertung und der zeitaufwendigen Interpretation personell und zeitlich nicht leistbar“, so Pressesprecherin Ursula Kissel weiter. Einen Antrag könne aber jeder stellen, sagt Michael Torkowski vom Herner Ordnungsamt. „Man holt sich dadurch ein Stück Sicherheit“, betont der Fachmann. Schließlich könne niemand ausschließen, dass eine Bombe auch mal detoniert.
Konkrete Gefahr durch Blindgänger in Herne bis heute
Anfrage beim Ordnungsamt ist kostenlos
Jeder Herner kann anfragen, ob sich auf dem eigenen Grundstück womöglich noch Blindgänger befinden. Eine solche Anfrage beim Ordnungsamt ist kostenlos. Auch gegebenenfalls notwendige Sondierungen oder Entschärfungen bringen keine Kosten mit sich, sofern das Grundstück frei und zugänglich gemacht wurde. Anfragen an: ordnungsamt@herne.de
Aufgrund von Personalnot gehen Anfragen in Zusammenhang mit Bauvorhaben in der Regel vor. Der gesamte Prüfungsprozess könnte durchaus ein paar Monate dauern, so Michael Torkowski.
„Aufgrund der Bergsenkung hätte schon viel mehr passieren können“, so Torkowski. Er wolle keine Panik machen, bedauert aber auch, dass die Sensibilität für die Gefahr, die von Weltkriegsmunition ausgeht, nachgelassen habe. „Vieles verschwindet aus dem Blickfeld“, sagt er. „Dass von den Blindgängern auch heute noch eine konkrete Gefahr ausgeht, ist aber unbestritten.“