Herne. Auch in Herne gibt es einen Fall eines Kindes mit fehlgebildeter Hand. Mutter Svenja Brüssow möchte sich mit anderen Betroffenen vernetzen.

Die Ursache ist völlig unklar, bislang sind keine Zusammenhänge zwischen den einzelnen Fällen klar - und dennoch oder vielleicht gerade deshalb: Seit in der vergangenen Woche bekannt wurde, dass im Sankt-Marien-Hospital in Gelsenkirchen-Buer in knapp zwei Monaten drei Kinder mit der gleichen Fehlbildung an der Hand zur Welt gekommen sind, ist die Verunsicherung groß bei vielen Eltern. Auch bei der Hernerin Svenja Brüssow. Der Grund: Auch ihr Sohn Lennard wurde mit einer Fehlbildung an der Hand geboren.

Lennard erblickte bereits vor sechs Jahren im St. Anna-Hospital in Wanne das Licht der Welt. Als sie und ihr Mann Bernd damals von der Fehlbildung erfahren hätten, sei das ein Schock gewesen. „Für uns ist eine Welt zusammengebrochen“, sagt Brüssow im Gespräch mit der WAZ-Redaktion.

Lennard Brüssow vor wenigen Tagen bei seiner Einschulung mit seinem Bruder Matties (3) und seinen Eltern Bernd und Svenja.
Lennard Brüssow vor wenigen Tagen bei seiner Einschulung mit seinem Bruder Matties (3) und seinen Eltern Bernd und Svenja. © OH

Man habe ihnen damals gesagt, dass es sich bei der Fehlbildung um eine Laune der Natur handele. Und nachdem die Brüssows Spezialisten in Hamburg konsultiert hatten, bekamen sie auch eine Diagnose: Symbrachydaktylie. Eine mangelnde Blutzufuhr in der sechsten bis achten Woche sei die Ursache dafür gewesen, dass die Knochen nicht weiter gewachsen seien. Danach hätten sie nicht nach einer anderen Ursache geforscht.

Eltern entschieden sich gegen eine Operation

Ihre schlimmsten Befürchtungen hätten sich nicht bestätigt, so Svenja Brüssow. Lennard kann zum Beispiel eine Schere benutzen, Knöpfe und Socken bereiteten ihm allerdings noch einige Schwierigkeiten. In der G-Jugend des SV Sodingen spiele er mit großer Begeisterung Fußball.

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Ärzte hätten die Möglichkeit angeboten, zwei Zehen zu verpflanzen, um die fehlenden Finger zu ersetzen, doch die Eltern entschieden sich dagegen. „Bei Lennard ist das Sattelgelenk vorhanden, damit kann er viel kompensieren“, sagt Svenja Brüssow. Inzwischen habe er auch eine Prothese bekommen.

Der erste Gedanke: Das kann doch kein Zufall sein

Als sie zum ersten Mal von den Fällen in Gelsenkirchen erfahren habe, sei ihr erster Gedanke gewesen: „Das kann doch kein Zufall sein.“ Sie ist sich selbst bewusst, dass alles rund um die Gelsenkirchener Fälle Spekulation sei, dennoch sei sie selbst wieder verunsichert. „Ich habe mich zum Beispiel gefragt, ob ich während der Schwangerschaft Medikamente genommen habe.“ Plötzlich werde sie von Bekannten auf die Fehlbildungen in Gelsenkirchen angesprochen.

Zahlen für NRW bis Ende nächster Woche

Bis Ende nächster Woche sollen Zahlen vorliegen, wie viele Fehlbildungen an den Händen Neugeborener es in den letzten Jahren in Nordrhein-Westfalen gab. Darauf hofft das Landes-Gesundheitsministerium, das zur Zeit die Krankenhäuser abfragt. „Anschließend werden wir die wissenschaftliche Expertise suchen, um eine Ersteinschätzung zu erhalten, ob die erhobenen Zahlen auffällig sind“, hieß es am Montag aus Düsseldorf.

Die Frage eines bundesweiten Registers für Fehlbildungen wird unterschiedlich gesehen. Während die Barmer Krankenkasse dies positiv sieht, gibt sich der Verein Ahoi zurückhaltend gegenüber dieser Forderung. „Aus gutem Grund werden in Deutschland seit 1945 keine Bücher über Menschen mit Behinderungen mehr geführt“, heißt es auf der Internetseite des Vereins.

Vor dem Hintergrund des aktuellen Falls möchte sich Svenja Brüssow das Netzwerk, das sie mit ihrem Ehemann aufgebaut hat, um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen, weiter ausbauen. Unter anderem gebe es regelmäßig Dsymelien-Treffen. Dysmelie ist der Fachbegriff für Fehlbildungen einer oder mehrerer Gliedmaßen. Zu den Treffen kämen Familien aus dem gesamten Bundesgebiet. Das nächste findet am 5. Oktober ab 10 Uhr in Lünen bei der Firma Ortho Form in Lünen statt. Außerdem gebe es den Verein „Ahoi“, der Betroffenen Hilfe leistet. Wenn sich andere Betroffene bei ihr melden, werde sie mit Rat und Tat zur Seite stehen, so Svenja Brüssow.

Die Elisabeth-Gruppe hat auf WAZ-Anfrage mitgeteilt, dass es im St. Anna und Marien Hospital in diesem Jahr keine Geburten mit Fehlbildungen an der Hand gegeben habe.