Herne. Die Zahl der akuten Kindeswohlgefährdungen und der Verdachtsfälle ist in Herne gestiegen, so das Land. Warum eine Analyse aber schwer fällt.
In Herne besteht immer häufiger der Verdacht auf Kindeswohlgefährdung: 933 Fälle sind der Stadt 2018 in Herne gemeldet worden, teilt das Landesamt für Statistik (IT.NRW) mit. Und: Die Zahl der Verfahren, in der im vergangenen Jahr tatsächlich eine „akute Kindeswohlgefährdung“ festgestellt worden ist, ist sehr stark angestiegen, das besagt die offizielle Statistik. Die Stadt bestreitet dies allerdings auf Anfrage der WAZ und verweist auf Softwareprobleme.
Softwareprobleme seit Ende 2016
89 Fälle akuter Kindeswohlgefährdung habe es 2018 in Herne gegeben, so das Land. Gemessen an der offiziellen Zahl von IT.NRW für 2017 - 51 Fälle - liegt hier ein Anstieg von 76,2 Prozentpunkten vor. Die Stadt geht allerdings davon aus, dass diese Zahl von 2017 nicht der Realität entspricht und führt dies auf Softwareprobleme zurück.
Die Ende 2016 in der Verwaltung eingeführte Technik stimme nicht überein mit der Logik der städtischen Fachkräfte des für das Thema Kindeswohlgefährdung zuständigen Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD), so Stadtsprecher Michael Paternoga auf Anfrage. Und: „Aktuell wird an einer Lösung gearbeitet, um wieder aussagekräftige Statistikdaten zu erhalten.“
Auch 2018 hatte die Stadt gegenüber der WAZ große „Ausreißer“ in der Landesstatistik zur Kindeswohlgefährdung in Herne auf die Softwareprobleme zurückgeführt. Die aktuelle Frage der WAZ, warum es nicht möglich ist, ein Softwareproblem innerhalb von eineinhalb Jahren zu lösen, ließ die Stadt unbeantwortet.
Daniel Kleibömer, jugendpolitischer Sprecher der Linke-Ratsfraktion, übt Kritik an der Stadt. Es könne nicht angehen, dass offenbar nicht für alle Bereiche belastbare Zahlen vorliegen. Die Politik sei jedoch auf die tatsächlichen Zahlen angewiesen, weil diese auch Auswirkungen auf politische Beschlüsse haben könnten - „insbesondere beim Haushalt“, so Kleibömer.
Zurück zur Landesstatistik: Unbestritten dürfte die Tatsache sein, dass die Zahl der eingeleiteten „Verfahren zur Einschätzung der Gefährdung des Kindeswohls“, so die offizielle Bezeichnung, in Herne kontinuierlich gestiegen ist. Die Verwaltung führte diese Entwicklung im vergangenen Jahr auf eine höhere Sensibilität sowie auf die Pflege und Ausbau der Netzwerke durch die Stadt zurück.
Verdi-Sekretär Norbert Arndt widersprach damals vehement dieser Erklärung von Jugend-Fachbereichsleiterin Stephanie Jordan: Der Anstieg sei nicht auf ein geändertes Meldeverhalten zurückzuführen, sondern nicht zuletzt auf wachsende soziale Problemlagen in Herner Familien, sagte er. Und auch das stellte er fest: Die Be- und Überlastung der Fachkräfte im ASD nehme ebenfalls zu - sowohl an Umfang und Zeitaufwand als auch in ihrer qualitativen Ausprägung.
3,5 Stellen sind derzeit unbesetzt
Wie ist der ASD heute aufgestellt? Nach Angaben der Stadt sind derzeit 38 Vollzeitstellen im Allgemeinen Sozialen Dienst angesiedelt. 3,5 Stellen seien derzeit unbesetzt; zurzeit fänden allerdings Einstellungsgespräche statt. Und: Die Personalfluktuation befinde sich „für diesen Aufgabenbereich im normalen Bereich“, so Stadtsprecher Paternoga. Für 2018 heiße dies: Fünf Fachkräfte verließen den ASD (zwei von ihnen wechselten stadtintern), neun Fachkräfte stießen neu dazu.