Herne. Respektlosigkeit greift um sich, seine Mitarbeiter werden bedroht: Warum sich Hernes OB Frank Dudda um den Zustand der Gesellschaft sorgt.
Oberbürgermeister Frank Dudda sorgt sich um das Klima in der Stadt. Im Interview spricht der 56-Jährige von einer Besorgnis erregenden Entwicklung, die gestoppt werden müsse.
In der vergangenen Ratssitzung haben Sie eingangs, was sehr ungewöhnlich ist, eine persönliche Erklärung abgegeben. Die erste Fridays for Future-Demo in Herne sei von einigen Menschen missbraucht worden, kritisierten Sie. Wen meinten Sie damit?
Ich meine die Störer, die etwa bei meiner Rede nur attackiert haben und dadurch deutlich gemacht haben, kein Interesse an einer sachlichen Diskussion zu haben. Sie standen vor dem Rathaus an strategisch wichtigen Punkten. Das war kein Zufall. Ihnen ging es überhaupt nicht um den Dialog, sondern nur die Störung.
Sie meinen die Mitglieder der Bürgerinitiative Stadtwald Herne?
Da waren einige Gruppen vertreten. Die Rede der BI Stadtwald war nur der Auslöser für meine Worte im Rat. Ich wollte klar stellen: So geht es nicht weiter in Herne. Das war die typische Respektlosigkeit, die wir seit Monaten immer stärker erleben und die vor keinem mehr Halt macht, nicht mal vor Kindern und Jugendlichen, die die Demo organisiert haben. Und vor allem auch nicht vor den Mitarbeitern der Stadt. Da geht es immer sofort ans Eingemachte.
Was meinen Sie konkret?
An den Rändern der Gesellschaft haben Menschen gegenüber den Mitarbeitern der Stadtverwaltung jeden Respekt verloren. Sie werden systematisch verbal angegriffen. Ich bin nicht mehr bereit, darüber hinweg zu sehen. So haben wir fast Tag für Tag Übergriffe im Ton, nicht nur gegenüber Feuerwehrleuten bei Einsätzen, sondern auch im Jobcenter, im Ausländeramt, Grünflächenamt, den Müllwerkern und neuerdings auch in den Bädern.
Haben Sie ein Beispiel?
Da werden die Mitarbeiter etwa als Faulpelze hingestellt. Zum Beispiel, nachdem wir das Großkundenticket für Verwaltungsmitarbeiter eingeführt haben. Da ging es uns darum, einen Anreiz zu schaffen für klimafreundliche Mobilität. Im Internet startete dann die Kampagne, dass das „faule Pack“ der Stadt wieder privilegiert werde und Vorteile erhalte, die hart arbeitende Normalsterbliche nicht bekommen. So ähnlich ist das in vielen anderen Fällen, etwa auch bei Programmen oder Hilfen für Zugewanderte. Das finde ich ungeheuerlich.
Welche Folgen befürchten Sie?
Diese Sprache führt zu einer Radikalisierung und am Ende auch zu Gewalt. Das ist vollkommen inakzeptabel. Auch, dass diese Sprache Standard und dieses Klima zur Normalität wird. Diese Entwicklung müssen wir stoppen. Das ist meine Botschaft.
Was ist der Grund für diese Entwicklung?
Die Respektlosigkeit kommt aus dem Internet, aus den sozialen Medien. Dort haben viele vollkommen den Respekt vor anderen verloren. Sie laden ihren Frust ab, ohne darüber nachzudenken, welche Wirkung sie erzielen. Außerdem sind viele Kampagnen gesteuert. Da geht es darum, den Staat und ihre Vertreter systematisch zu schwächen. Das ist aber kein Phänomen, das nur Herne betrifft, sondern bundesweit zu beobachten. Und es trifft längst nicht nur Verwaltungsleute, sondern etwa auch Journalisten.
In der Tat. Von wem werden die Kampagnen gesteuert?
Von denjenigen, die nicht an der Verbesserung der Lebensqualität in der Stadt interessiert sind, sondern destruktive Ziele im Auge haben.
Sie sagen, dass die unangemessene Sprache zu Gewalt führt. Da denkt man sofort an den Kasseler Regierungspräsidenten, der ermordet wurde, mutmaßlich von einem Rechtsradikalen. Was geht da in Ihnen vor, wenn Sie von einer solchen Brutalität gegen einen Politiker hören?
Da wird man sehr, sehr nachdenklich. Kaum war die Herner Fridays for Future-Demo in den Medien, bekam ich den nächsten Drohbrief, diesmal von Reichsbürgerseite. Man muss klar sagen: Die Hemmschwelle ist deutlich gesunken.
Sie sprechen von einem weiteren Drohbrief. Erhalten Sie öfter welche?
Ja, regelmäßig. Ziemlich unverhohlen werden unsere Mitarbeiter und ich bedroht.
Wie viele Drohungen, wie viel Hass kann ein Oberbürgermeister, können Sie aushalten? Wann muss man sagen: Jetzt ist Schluss?
Das ist eine persönliche Entscheidung. Ich kann jeden verstehen, der sich das nicht mehr antut. An dieser Stelle bin ich noch lange nicht.
Was unternehmen Sie in solchen Fällen?
Wir schlafen nicht, wir passen auf. Unsere Mitarbeiter sind im höchsten Maße sensibilisiert. Und bei den Drohungen bringen wir das konsequent zur Anzeige. Für das Verfolgen der Anzeigen sind aber Polizei und Staatsanwaltschaft zuständig. Und da sage ich: Wir brauchen eine intensivere Unterstützung durch die Strafverfolgungsbehörden.
Hakt es da?
Die brennenden Autos von Politikern in Herne wurden offensichtlich als „verbucht“ abgelegt. Wir müssen die Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden und Verwaltung auch deshalb verbessern, weil sich die Herausforderungen wie beschrieben geändert haben. Das habe ich auch mit dem neuen Polizeipräsidenten verabredet.
Sie meinen die Autos der SPD-Bundestagsabgeordneten Michelle Müntefering und des CDU-Landtagskandidaten Sven Rickert, die abgefackelt wurden.
Genau – und nicht nur das. Man kann nicht davon ausgehen, dass die Täter ausgewandert sind. Es gibt ein schleichendes Potenzial an Menschen, die Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung schürt. Dem muss man von Anfang an begegnen. Und der Anfang ist schon vorbei.
Was wollten Sie mit Ihrer Erklärung im Rat sagen?
Ich wollte auf die Besorgnis erregende Entwicklung aufmerksam machen, sie ans Tageslicht bringen. Ich wollte uns alle aber auch wachrütteln und nach Unterstützung rufen, denn die Verantwortung kann und will ich nicht alleine schultern.
Für Ihre Worte haben Sie im Rat von allen Seiten langanhaltenden Beifall bekommen, so viel wie nach meiner Erinnerung überhaupt noch nie als Oberbürgermeister. Macht das Mut?
Ja, das tat gut und war richtig. Offensichtlich sehen aber die meisten Parteien, dass es da ein Problem gibt in der Gesellschaft und dass wir dagegen vorgehen müssen. Und: Ich vertraue der Zivilgesellschaft in Herne, dass wir das hinbekommen. Wir lassen da nicht nach.