Herne. Reitet die Stadt mit ihren Programmen und Projekten in Wanne-Eickel ein „totes Pferd“? Dieser Vorwurf wurde beim Grünen-Empfang laut.
„Grüner Maiempfang“ stand auf den Einladungen zu der jährlichen Veranstaltung der Grünen-Ratsfraktion. Der Empfang am Donnerstagabend in der Alten Druckerei hätte aber auch diese Überschrift tragen können: „Der Professor, die Stadt, Wanne-Eickel und das tote Pferd“.
Launig im Ton, aber hart in der Sache rechnete Grünen-Gast Prof. Volker Eichener mit der Stadterneuerungspolitik in
Wanne und Wanne-Süd ab und ging auch aufs Gelände General Blumenthal ein. Die Situation vor Ort beurteilt er aus der Innensicht: Der Stadtentwicklungsexperte der Hochschule Düsseldorf ist Wanne-Eickeler und wohnt mit seiner Frau in Eickel.
Eine zentrale Botschaft Eicheners: Die für Wanne-Mitte und dann für Wanne-Süd aufgelegten Programme seien Konzepte aus den 70er-Jahren und völlig ungeeignet. „Es handelt sich um ein Wachstumsmodell. Wir haben aber kein Wachstum mehr“, so der Politikwissenschaftler.
Nur Investitionen in Steine
In Wanne-Süd gebe es fast nur Investitionen in Steine; 37 Millionen Euro würden hier investiert. „Was könnte man mit dieser Summe nicht alles machen? Da bekommt man Tränen in die Augen“, sagte er. 57 Maßnahmen vor allem baulicher Art lege die Stadt auf. Doch: „Welches Problem ist damit gelöst?“
Noch härter ins Gericht ging der Professor mit dem von Oberbürgermeister Frank Dudda initiierten Konzept „Wanne 2020plus“. Es sei ein Irrglaube, damit zu rechnen, dass dies Bürger aus Nachbarstädten nach Wanne locke. „Dazu passt dann, dass die Linie 306 ausgedünnt wird“, so Eicheners ironischer Seitenhieb. Der alte Ansatz, Lücken im Einzelhandel und in der Gastronomie schließen zu wollen, sei falsch. Das Fachgeschäft sterbe aus, das Kaufhaus sei schon tot; Discounter auf Durchgangsstraßen und der Online-Handel seien die großen Gewinner. Daran werde sich nichts ändern, so seine Prognose.
Eichener entwirft die Vision der Wohnstadt
„Wenn Du merkst, dass ein Pferd tot ist, steigst du ab. Man kann mit toten Pferden aber offenbar noch eine Menge machen“, so Eicheners Angriff auf die Stadt. Selbst wenn die Revitalisierung Wannes gelänge, würde die Kaufkraft woanders fehlen - zum Beispiel in Herne-Mitte oder in Eickel. Eicheners Alternative für Wanne? „Die Wohnstadt.“ Die Nähe zum Hauptbahnhof, viel Grün, wenig Verkehr, Gesundheitseinrichtungen - diese Stärken müsse man nutzen. Wanne könnte für Berufstätige ohne Auto ein angenehmes Wohnquartier mit relativ günstigen Mieten werden. Und auch Wohnen am Wasser müsse für Wanne-Eickel stärker ins Auge gefasst werden.
Für die „Wohnstadt“ müsste jedoch die Aufenthaltsqualität erhöht werden, sagte der Professor. Ein Center-Management für die Hauptstraße kann er sich ebenso vorstellen wie eine soziokulturelle Spielstätte in der Christuskirche. Eine weitere Vision des Wissenschaftlers: Wanne-Nord könnte nach dem Vorbild von Chinatown zur „Turk Town“ werden, einem migrantisch geprägten Viertel, das auch attraktiv für Deutsche wäre. Mit bisherigen Projekten und Veranstaltungen würden Migranten nicht erreicht: „Die Mondnächte, das ist: Rockmusik, Saufen und Schweinswürste.“ Und auch davon träumt er: ein Oldtimer-Markt, ein Ganzjahresbiergarten auf dem Buschmannshof und ein Day Spa, sprich: eine Wellness-Oase im alten Solbad.
Absage an Logistik-Ansiedlungen
Damit längst nicht genug: Fürs Gelände General Blumenthal schwebe ihm eine Symbiose von „Ökologie und Wirtschaft“ vor. „Warum kein ,Klimagewerbepark Shamrock’ mit innovativen Unternehmen, die Klimaschutztechnologie entwickeln?“
Auf keinen Fall dürfe sich auf dem Areal ein weiteres Logistikunternehmen mit hohem Flächenverbrauch und wenig Arbeitsplätzen ansiedeln. Davon gebe es in einer dicht besiedelten Stadt wie Herne schon zu viele.
Für diese Aussage und für den gesamten Vortrag des Professors gab es viel Beifall - nicht nur von Grünen-Mitgliedern.
Thomas Reinke lobt die Bürgerinitiativen
Mehr als 100 Gäste begrüßte die Ratsfraktion der Grünen zu ihrem Mai-Empfang, der wegen der Europawahl im Juni stattfand.
Die 17,5 Prozent in Herne ließen ihn natürlich schmunzeln, sagte Fraktions-Chef Thomas Reinke. Die Wahl habe schon erste Auswirkungen. SPD und CDU hätten sich wohl unter dem Druck des Wahlergebnisses dem Grünen-Antrag für einen „Klimanotstand“ angeschlossen, sagte er.
Den versammelten Bürgerinitiativen rief Reinke zu: „Machen Sie weiter so!“ Die BI Horststadion habe gezeigt: Man könne etwas erreichen.
Reaktionen auf die Thesen des Professors
Thomas Bruns kann Eicheners Vision von der „Wohnstadt Wanne“ einiges abgewinnen. „Wir haben ja ähnliche Ansätze“, sagt der Chef der städtischen Wohnungsbaugesellschaft HGW auf Anfrage. Zurzeit fehle es aber an hochwertigem Wohnraum. Eigentümer von Immobilien auf der Hauptstraße hätten sich auf Ladenlokale konzentriert und den Wohnungsbestand darüber vernachlässigt.
Rolf Ahrens (Grüne) teilt die Grundsatzkritik des Professors an den Stadtumbauprogrammen in vielen Punkten, nimmt die Stadt aber auch in Schutz. „Wir sind in Herne inzwischen so klamm, dass wir auch das Alltagsgeschäft über Mittel aus diesen Programmen mitfinanzieren müssen“, sagt der planungspolitische Sprecher der Grünen. Was er ebenfalls schlecht findet: Soziale Komponenten würden in den Erneuerungsprogrammen außer Acht gelassen. Auch hier spielten Zwänge eine Rolle, denn: Dieser soziale Ansatz sei vom Bund leider zurückgefahren worden