herne. . „Der Torschrei“ ist als Hommage an die Herner Fußballglanzzeit in die Denkmalliste eingetragen worden. Nun gibt es neue Erkenntnisse.

Im März 2018 ist die Sodinger Skulptur „Der Torschrei“ (auch: „Der unbekannte Fußballzuschauer“) nach einer gemeinsamen Spurensuche der Mont-Cenis-Gesamtschule und Heimatforschern des Historischen Vereins durch die Stadt in die Denkmalliste eingetragen worden.

Das zum Ende der 50er-Jahre von der Börnigerin Elisabeth Hoffmann erschaffene Kunstwerk sei eine Hommage an die Fußballzuschauer der damals erfolgreichen Clubs SV Sodingen und Westfalia Herne, so die Begründung. Untersuchungen des Stadtarchivs haben jedoch nun ergeben: Diese Deutung ist falsch. Ein eingetragenes Denkmal soll das auf dem Hof der Gesamtschule stehende Kunstwerk aber trotzdem bleiben.

Noch während des gemeinsamen Projekts der Schule und des Heimatforschers Gerd E. Schug seien ihnen aufgrund eines Zeitungsartikels der Westfälischen Rundschau Zweifel an der bisherigen Deutung der Skulptur als Hommage an die Fußballzuschauer und die Fußballhochburg Herne gekommen, berichtet Jürgen Hagen. Durch die Befragung von Zeitzeugen hätten sich diese Zweifel erhärtet.

Journalistik-Professor prüft Berichte

Stadtarchivar Jürgen Hagen (li.) und Horst Pöttker, der früher Journalistik-Professor in Dortmund war.
Stadtarchivar Jürgen Hagen (li.) und Horst Pöttker, der früher Journalistik-Professor in Dortmund war.

Mit der Prüfung der veröffentlichen Zeitungsberichte über das Kunstwerk und die Künstlerin beauftragte die Stadt den Medienexperten und Wissenschaftler Horst Pöttker, der viele Jahre als Professor am Dortmunder Institut für Journalistik gelehrt hatte. Das Ergebnis: Pöttker teilt Hagens Zweifel, dass es sich bei der Personengruppe um Fußballzuschauer oder gar – wie 1959 von der WAZ berichtet – um ein Ehrenmal für den unbekannten Fußballzuschauer handele. Darauf deuteten das Fehlen von Zitaten und Fotos der Künstlerin in Presseberichten sowie dort verwendete Floskeln wie „von der Öffentlichkeit unbemerkt“ oder „uns scheint“, so Pöttker. Solche Begriffe seien von Journalisten gerne verwendet worden, wenn keine exakten Rechercheergebnisse vorgelegen hätten.

In zwei weiteren Zeitungsberichten von 1956 und 1968 hätten die Autoren jedoch tatsächlich mit der Künstlerin gesprochen. Als Ergebnis könne festgestellt werden, dass die Skulptur wohl nichts mit Fußball zu tun habe, sondern lediglich drei spielende Jungen darstelle, so Pöttker, der früher selbst als Journalist gearbeitet hatte.

Eine Gruppe ballspielender Kinder

„Das waren starke Indizien, aber noch keine Beweise“, sagt Hagen. Den konnte er dann durch den Fund von historischen Unterlagen im Stadtarchiv (siehe auch Bericht unten) antreten. Die Auswertung habe ergeben: Hoffmanns Skulptur stelle eine Gruppe ballspielender Kinder dar, die sich über ein gerade geschossenes Tor freuten. Konkrete Hinweise auf Fußballzuschauer oder den SV Sodingen bzw. Westfalia Herne habe es nicht gegeben.

„In der Denkmalliste wird die Skulptur trotzdem bleiben“, sagt Hagen. Der konkrete Eintrag werde aber wohl geändert. Nach Rücksprache mit der Unteren Denkmalbehörde sei zudem vereinbart worden, dass das Stadtarchiv künftig bei neuen Einträgen in die Denkmalliste stärker einbezogen werden soll. Jürgen Hagen räumt allerdings ein, dass er sich anfangs ebenfalls bei der Deutung von Quellen zu der Skulptur geirrt habe. Und wie auch Professor Pöttker würdigt er das historische Projekt der Gesamtschule zu dem zwischenzeitlich in Vergessenheit geratenen Kunstwerk.

Die Mont-Cenis-Gesamtschule nimmt die neuen Untersuchungsergebnisse zur Kenntnis, übt aber gleichzeitig Kritik an der Informationspolitik des Stadtarchivs. „Wir hätten uns gewünscht, dass wir frühzeitig einbezogen und über die Recherchen und Entwicklung auf dem Laufenden gehalten worden wären“, sagt die für das Projekt federführende Lehrerin Céline Spieker. Heimatforscher Gerd E. Schug erklärt gegenüber der WAZ, dass es bei historischen Projekten ein normaler Vorgang sei, wenn neue Erkenntnisse auftauchten: „Das bereichert das Wissen über das Denkmal.“

Keine Einladung an die Gesamtschule

Am 29. Januar hatte das Stadtarchiv die neuen Untersuchungsergebnisse erstmals mehreren Personen vorgestellt. Statt der Schule war von der Stadt zu dieser Runde jedoch Heimatforscher Gerd E. Schug vom Historischen Verein „gleichzeitig als Vertreter für die Projektgruppe der Mont-Cenis-Gesamtschule“ eingeladen worden.

Spieker betont zudem, dass unabhängig von den neuen Erkenntnissen dieses Projekt für die Schule in mehrfacher Hinsicht einen hohen Wert habe. Und: Sie hätten maßgeblich dazu beigetragen, dass eine Herner Künstlerin praktisch wiederentdeckt worden sei.

Die Kooperation von Jürgen Hagen, Fan des VfL Bochum, und Horst Pöttker, HSV-Anhänger, ging übrigens noch in die Verlängerung. Sie besuchten jüngst gemeinsam das VfL-Heimspiel in der 2. Liga gegen die Hamburger. Einen Torschrei gab es im Stadion an der Castroper Straße nicht: Die Partie endete 0:0.

>> INFO: OB nahm das Werk im Atelier persönlich ab

Die Börniger Künstlerin Elisabeth Hoffmann - hier mit einem anderen Kunstwerk -  erhielt 1957 den Auftrag der Stadt zur Erstellung der Pastik „Das Tor“.
Die Börniger Künstlerin Elisabeth Hoffmann - hier mit einem anderen Kunstwerk - erhielt 1957 den Auftrag der Stadt zur Erstellung der Pastik „Das Tor“. © Ralph Bodemer

Die Auswertung der Unterlagen habe ergeben, so das Stadtarchiv, dass die Bildhauerin Elisabeth Hoffmann 1957 bei einem Ideenwettbewerb der Stadt zum Thema „Das Tor“ mit ihrer Plastik den Zuschlag erhalten habe. Die Künstlerin habe ihr Werk als „Gruppe der Ballspieler“ beschrieben. Der erste Entwurf habe die Stadtspitze um OB Robert Brauner nicht zufrieden gestellt. Nach einem Gespräch mit der Stadt habe Hoffmann eine Überarbeitung zugesagt. Offenbar zur Zufriedenheit der Auftraggeber: Im Mai 1957 erhielt sie den Auftrag, die Plastikgruppe zu einem Festpreis von 10.000 Mark aus Anröchter Dolomit zu fertigen.

1958 sei „Das Tor“ fertig gestellt und in Hoffmanns Atelier von OB Brauner und Oberstadtdirektor Edwin Ostendorf abgenommen worden, so das Stadtarchiv. Anschließend habe die Stadt es auf dem Hof der Sodinger Volksschule aufgestellt. Hoffmann selbst habe ihr Kunstwerk 1968 gegenüber Medien als „Allround-Plastik“ bezeichnet, die drei Jungen darstelle.