Herne. . Die Armut in Großstädten nehme zu, heißt es in einer neuen Studie. Wie geht man damit in Herne um? Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen.
Das Herner Sozialforum fordert seit Jahren mehr Anstrengungen von Stadt und Politik zum Umgang mit dem Thema Armut. Durch eine aktuelle Studie der Bertelmann-Stiftung fühlt sich Norbert Kozicki, Mitglied des überparteilichen Bündnisses und früherer Falken-Landesgeschäftsführer, bestätigt. Er erneuert die Forderung nach Einführung eines regelmäßigen Sozialberichts für Herne und kündigt die Einrichtung eines Runden Tisches gegen Armut von Kindern und Jugendlichen an.
Eine zentrale Botschaft der aktuellen Bertelsmann-Studie lautet: Armut ist vor allem ein Problem der deutschen Großstädte, sprich: der Kommunen mit mehr als 100.000 Einwohnern. Hier habe die Zahl armer Menschen zugenommen, heißt es. Das gelte insbesondere fürs Ruhrgebiet.
Vorwurf: Thema kommt der Stadt nicht gelegen
Dass die der Studie zugrunde liegenden neuesten Zahlen aus dem Jahr 2016 sind, ist für Kozicki kein Grund zur Zurückhaltung: „Alle sozialen Indikatoren zeigen, dass die Zahlen sich seitdem nicht geändert haben.“
Die Stadt Herne sei bei der jüngsten von mehreren Organisationen ausgerichteten Sozialkonferenz in der Akademie Mont-Cenis vom Armutsforscher Professor Klaus Peter Strohmeier zu Recht für gute Ansätze und eine gute Arbeit beispielsweise im Bildungsbüro gelobt worden, sagt Kozicki. Er habe den Eindruck, dass die soziale Situation ganz bewusst nicht an die große Glocke gehängt werde. „Dieses Thema kommt der Stadt nicht gelegen“, so Kozicki unter Verweis auf die großen Bemühungen der Verwaltung, das Image Hernes zu verbessern.
Bürgeranfrage im Rat gestellt
„Ich habe das Gefühl: Wer über Armut redet, gilt als Nestbeschmutzer“, so das Sozialforums-Mitglied. Diese Erfahrung habe er auch 2017 gemacht, als er im Rat eine Bürgeranfrage zum Thema Armut in Herne gestellt habe. Stadtkämmerer Hans Werner Klee habe ihm damals unter anderem beschieden: „Mit der Formulierung, Herne gehöre ,zu den ärmsten Städten Deutschlands’, wird nahe gelegt, dass es in Herne - im Städtevergleich - besonders viel Armut gebe. Diese Vermutung ist falsch.“ Für Kozicki zeigt sich durch die Bertelsmann-Studie einmal mehr: Diese Vermutung sei richtig.
Was ist zu tun? Die Einführung und Fortschreibung eines Sozialberichts würde dabei helfen, so Kozicki, die Bekämpfung von Armut stärker in den Fokus zu rücken. Die Nachbarstadt Bochum habe im Dezember 2018 ihren bereits siebten Sozialbericht vorgelegt.
Das Sozialforum wird auch selbst aktiv: In Kürze wollten sie in Herne mit Kooperationspartnern wie Awo und Progressiver Eltern- und Erzieherverband erstmals zu einem Runden Tisch gegen Armut von Kindern und Jugendlichen einladen, so Kozicki. Der Handlungsdruck sei groß, das zeige beispielsweise der Blick auf Wanne-Nord: Im Bereich Emscherstraße lebten 78 Prozent der Kinder unter Hartz IV-Bedingungen.
>> INFO: Jeder Fünfte lebt von staatlichen Zuschüssen
Laut einer aktuellen Tabelle der Tageszeitung „Welt“ auf Basis von offiziellen Zahlen des Bundes und der Bertelsmann-Stiftung ist die Armutsquote in Herne von 2007 bis 2016 von 16 auf 20 Prozent gestiegen. Heißt: Jeder Fünfte lebe mittlerweile von staatlichen Zuschüssen.
Und: Höher sei der Zuwachs an Sozialleistungsbeziehern von 2007 bis 2016 nur in der Nachbarstadt Gelsenkirchen (plus 5 Prozentpunkte).
Und das sagt die Stadtverwaltung
Wir wissen sehr wohl, dass es Armut in Herne gibt“, sagt Stadtsprecher Christoph Hüsken auf Anfrage der WAZ-Redaktion. Auch OB Frank Dudda hatte die Nachricht des ausgeglichenen Haushalts für das Jahr 2018 mit der Botschaft verbunden, dass Herne nach wie vor eine ungünstige Sozialstruktur aufweise. Deshalb unternehme die Stadt Anstrengungen, um Menschen Wege aus der Armut zu eröffnen, so Hüsken. Zum Beispiel beim gemeinsamen Engagement mit der Agentur für Arbeit gegen die Langzeitarbeitslosigkeit.
Außerdem lege die Stadt deshalb einen so großen Wert auf Bildung, weil Bildung und Ausbildung eine Grundvoraussetzung für ein Leben ohne Armut sei. Hüsken bestätigt die Aussage der Studie, dass eine Stadt wie Herne mit dem Strukturwandel zu kämpfen habe, „aber wir haben den Kampf angenommen“.
Die Studie arbeitet mit Daten bis zum Jahr 2016, in Herne würden sie selbstverständlich ständig beobachtet. Hüsken. „Wir wollen sie verändern, das hat hohe Priorität.“
Der Forderung des Sozialforums nach einem regelmäßigen Sozialbericht hält Hüsken entgegen, dass es bereits einen jährlichen detaillierten Bericht des Fachbereich Soziales gebe, daneben gebe es weitere Berichte, zum Beispiel jenen zu alten Menschen in Herne. Der erhöhte Aufwand für die Erstellung eines extra Sozialbericht stünde nicht im Verhältnis zum zusätzlichen Nutzen.