Die Tage Alter Musik boten Kontraste: In der Künstlerzeche sang Pino de Vittorio Lieder der Lazzari und Christof Schläger ließ Hörner hupen.
Die Tage Alter Musik haben Herne einmal mehr zum überregionalem Treffpunkt von Instrumentenbauern, Musikern und Kulturliebhabern gemacht. Während das Foyer mit seiner Ausstellung historischer Tasteninstrumente ein Ausprobieren ermöglichte, lieferten die Konzerte musikalischen Hochgenuss.
Etwas abseits von dem großen Geschehen im Kulturzentrum und der benachbarten Kreuzkirche stehen die Nachtkonzerte in der Künstlerzeche Unser Fritz. Hier konzertieren jedes Jahre eher kleinere Ensembles von internationalem Rang in einer ganz speziellen Atmosphäre.
Kultur des Volkes bedacht
Unter dem diesjährigen Motto „Todsünden“ wurde auch die Kultur des Volkes bedacht. Die Lazzari – eine rechtlose gesellschaftliche Gruppierung im historischen Neapel - liebten den Gesang. Ihre angebliche Faulheit – eben eine Todsünde gemäß Papst Gregor I – bildete dann also den historischen Kontext, aus dem Lieder entstanden, die aus dem prallen Leben schöpften.
Vier italienische Musiker hatten sich dieser populären Kultur angenommen. Anmutig betrat Sänger Pino de Vittorio die Bühne. Er hatte nicht nur den Gesang der Lazzari sondern eine ganze Schauspielkunst aus dem historisch-halbseidenen Milieu hergeleitet. Die Canzoni gab er mit kehligem Gesang heißblütig zum besten (etwa bei einer mitreißenden Tarantella) und konnte mit herzerweichenden Lamenti über die verstorbene Liebste besonders anrühren. Sehr wirkungsvoll!
Begleitet wurde Vittorio durch laute Zupfinstrumente. Musiker an Harfe, Laute und Theorbe des Ensembles Laboratio ‘600 spielten mitreißende süditalienische Volksweisen.
Hornkonzert vor dem Kulturzentrum
Mit einem lauten Hupen machten die Tage Alter Musik auch vor dem Kulturzentrum auf sich aufmerksam. Der Herner Künstler Christof Schläger ist für seine Performances rund um sein eigentümliches Instrumentarium weltweit bekannt. Man könnte es Kontrastprogramm nennen: Reichten die nachgebauten, sehr teuren Instrumente der Szene der historisch informierten Musizierpraxis eher in die feinen und leiseren Bereich, so konterte Schläger dieses mit Musik für Schiffshörner. Auf den pneumatisch angespielten Hörnern, die der Künstler chromatisch gestimmt hatte, ließ er – nicht ganz stilecht – große Komponisten wie Mozart oder Purcell ertönen. Die lautstarke Performance sorgte für Aufmerksamkeit. Neben den Klassik-Zitaten und einer Eigenkomposition hatte Schläger sogar von dem estnischen Komponisten Arvo Pärt die Erlaubnis bekommen, eines seiner sakralen Vokalwerke zu interpretieren.
Stradella-Oper wiederentdeckt
Eine der Todsünden ist die Wollust. Bei den Tagen Alter Musik nahm sie am Freitagabend im Kulturzentrum in der wiederentdeckten Oper „Amare e fingere“ von Alessandro Stradella (1643-1682) mit den Sängern Mauro Borgioni, Paola Valentina Molinari, Luca Cervoni, José Maria Lo Monaco, Chiara Brunello und Silvia Frigato sowie dem Ensemble Mare Nostrum unter Leitung von Andrea de Carlo musikalisch Gestalt an.
Hier ist nichts, wie es scheint. Ein höfisches Verwirrspiel in ländlich-exotischer Idylle ist Stradellas Oper, die vermutlich im Jahr 1676 entstand und in Herne ihre moderne Erstaufführung erlebt. Die in Europa beliebten Schäferszenarien siedelt der italienische Barockmeister und notorische Lebemann hier in einem fiktiven Arabien an, vor dessen Kulisse sich Mitglieder der arabischen und persischen Hocharistokratie um die als Celia verkleidete arabische Königin Oronta (José Maria Lo Monaco) ihre erotischen Geplänkel liefern.
Intrigen, Irrungen und Wirrungen
Die Musik aber ist durch und durch italienisch, eine hochvirtuose Opera seria, in der sich zum Schluss nach vielen Intrigen, Irrungen und Wirrungen doch noch die richtigen Paare finden.
Hohe Klangtransparenz und nuancenreich ausgestaltete Stimmungen und Emotionen sowie virtuose Gesangskunst und Ausdrucksreichtum gehen hier Hand in Hand und überzeugen ungeachtet der Längen des Werkes und krankheitsbedingter Umbesetzungen.