Herne. . Erstmals erhält eine öffentliche Besuchergruppe Einblick in das ehemalige Polizeigefängnis. Hier wurden im Nationalsozialmus Menschen gequält.

Mit etwas Fantasie kann man das Schreien der gequälten Gefangenen, das Krachen der Gewehre bei nächtlichen Erschießungskommandos regelrecht noch hören, wenn man sich durch die trostlosen Gänge des ehemaligen Polizeigefängnisses am Friedrich-Ebert-Platz bewegt, der zu der Zeit, in der sich die Grausamkeiten abspielten, Adolf-Hitler-Platz hieß. Zwölf WAZ-Leser sind die erste öffentliche Gruppe, der die Zellen und Verhörräume der Wache des Polizeipräsidiums gezeigt werden, mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus. Bis dahin haben nur Mitglieder der Geschichtswerkstatt des hiesigen DGB die Räumlichkeiten für ihre Forschungen besichtigen können.

Bewegende Geschichten von Opfern

Gewerkschaftssekretär Norbert Arndt erzählt bewegende Geschichten von Opfern, die von Polizei und Gestapo „einkassiert“ wurden, weil sie gegen Krieg und Faschismus waren. Manchmal sogar nur, weil sie einem Kriegsgefangenen Brot abgegeben hatten, weil sie Mensch geblieben waren.

Klappe an einer Zellentür.
Klappe an einer Zellentür. © Barbara Zabka

„Wir sind erst bei unseren Recherchen für das benachbarte Justizgefängnis darauf gestoßen, dass zwischen 1933 und 1945 auch hier Menschen wegen ihrer politischen Ansichten untergebracht waren“, erläutert Arndt. Herne sei ja SPD- und KPD-Hochburg gewesen. So wurde auch der KPD-Stadtverordnete Viktor Reuter nach dem Reichstagsbrand 1933 im Herner Polizeigefängnis einkerkert, 1945 wurde er wahrscheinlich im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet. Ein weiterer bekannter Herner Bürger saß hier hinter einer der schweren Holztüren ein, die bis heute nahezu unverändert sind: Der Pfarrer Ludwig Steil, der zur „Bekennenden Kirche“ gehörte und so Gegner der Nationalsozialisten war. Zwei Monate verbrachte Steil hier mit fünf Mitgefangenen in einer winzigen Gefängniszelle von acht Quadratmetern. „Wir haben hier Stockbetten, ich liege im unteren Bett“, schrieb Steil an sein „Töchterlein“, wie er sie in seinem Brief nennt. Steil wurde zuletzt im Priesterblock des Konzentrationslagers Dachaus eingepfercht, wo er 1945 „elend verreckte“, wie es Arndt beschreibt.

Das Treppenhaus
Das Treppenhaus © Barbara Zabka

Bombenangriffe

Die Häftlinge hatten freien Zugang zu den Fluren. „Bei Bombenangriffen wurden sie allerdings eingeschlossen, während die Wachmannschaften in den Bunker flüchteten“, berichtet Arndt. Er findet es auch „schwer vorstellbar“, wie eng es im Gefängnis zugegangen sein muss. Für 150 Gefangene gebaut, sollen hier 1943 sogar 335 Häftlinge hinter Gittern gesessen haben. Aber wahrscheinlich hat man die Inhaftierten des Justizgefängnisses mit dazu gezählt. 94 Todesfälle hat die Geschichtswerkstatt inzwischen dokumentiert.

Drangvolle Enge, entsetzlicher Gestank und furchtbare Schreie von gefolterten Gefangenen vor Augen, ist die Gruppe froh, als sie aus dem düsteren Polizeigefängnis wieder ans Tageslicht darf. Und Arndt verabschiedet sich mit den denkwürdigen Worten: „Gerade in Zeiten wie diesen, wo die AfD im Bundestag sitzt, ist es wichtig, Brücken zu schlagen zur Geschichte, zu Zeiten, als Fremdenfeindlichkeit und Rassismus die Oberhand gewannen.“