herne. . Die Allgemeinen Sozialen Dienste in Jugendämtern seien häufig überfordert, so eine Studie. In Herne sei dies nicht so, erklärt die Stadt.
Zu wenig Personal, schlechte Ausstattung, zu viele Fälle – das ist das Ergebnis einer aktuellen bundesweiten Studie der Hochschule Koblenz über den für das Kindeswohl zuständigen Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) in Jugendämtern. Die Stadtverwaltung kann dies auf Anfrage der WAZ für Herne nicht bestätigen, doch vom städtischen Personalrat und aus der Politik gibt es sehr wohl Kritik an den Bedingungen.
Die in der wissenschaftlichen Untersuchung festgestellten „strukturellen Defizite und Missstände“ gebe es aus Sicht des Fachbereichs Kinder-Jugend-Familie in Herne nicht, erklärt Stadtsprecher Christoph Hüsken.
Bis zu 100 Fälle betreut jeder Sozialarbeiter in NRW laut der Studie. Der Herner Wert liegt darunter: 1362 Fälle in 2016 und 1360 Fälle in 2017 bzw. sogenannte „Hilfen zur Erziehung“ weist die Statistik aus. Heißt: Rein rechnerisch betreut jeder ASD-Mitarbeiter knapp 40 Fälle. Die Stadt habe sich jedoch dazu entschieden, das Personal nicht über Fallzahlen, sondern über Qualitätsstandards zu bemessen, erklärt Hüsken. Innerhalb dieser Standards seien auch Zeiten für Beratungen, Hausbesuche und Gespräche mit Familien und Kindern hinterlegt.
33 von 35 Stellen sind besetzt
Weitere Zahlen: 2016 seien 77 und 2017 insgesamt 73 Kinder wegen Kindeswohlgefährdung aus Familien und in Obhut genommen worden. Zum Vergleich: 2013 waren es „nur“ 41. Die Stadt führt den Anstieg auf das „veränderte Meldeverhalten“ von Bürgern, Familien und Institutionen zurück.
Schließlich: Während in der Studie von einer hohen Fluktuation und zahlreichen offenen Stellen in Jugendämtern die Rede ist, sind im Herner ASD aktuell 33 von 35 Stellen besetzt. „Die Fluktuation ist inzwischen gering“, so Hüsken. Vor vier Jahren sei dies ein Problem gewesen, doch dank diverser Maßnahmen sei der Personalstamm nun stabil. Und: Der Krankenstand liege mit 6,22 Prozent unter dem Durchschnitt der Stadtverwaltung.
Hoher Aufwand durch Dokumentationspflicht
Also alles im grünen Bereich? Nein, sagt die städtische Personalrats-Chefin Beate Wycislok. „Die Arbeitssituation hat sich in den vergangenen Jahren zwar verbessert, ist aber nach wie vor angespannt.“
Wycislok führt dies vor allem auf formale Anforderungen zurück. Die Dokumentationspflicht für jeden Fall diene zwar dem Schutz der Mitarbeiter, erfordere aber einen hohen Aufwand. „Mitarbeiter sagen: Die Bürokratie macht uns fertig.“ Für die eigentliche Arbeit, das Gespräch mit Kindern und Familien, bleibe zu wenig Zeit.
Verbesserung der Situation
Linke-Chef Daniel Kleibömer teilt diese Analyse. 60 Prozent der Arbeitszeit müsse ein ASDler mittlerweile für Dokumentationen und ähnliche Aufgaben aufwenden. Auch der Jugendpolitik-Experte der Linkspartei bescheinigt der Stadt, dass die Situation beim ASD heute besser ist als noch vor acht Jahren. „Besser heißt aber bei weitem nicht gut“, so Kleibömer. Noch immer gelte in Herne der Grundsatz, dass erst auf anfallende Kosten geschaut werde und erst dann das „richtige“ Angebot genehmigt werde.
Für Daniel Kleibömer ist die große Anzahl der freien Träger in Herne - rund 150 - das größte Problem; er spricht von einer „Privatisierung der Jugendhilfe“. Es gebe Fälle, in denen sich gleichzeitig bis zu sieben Ansprechpartner mit Betroffenen beschäftigten.
Die Linke fordert eine grundlegende Reform für die Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) beziehungsweise die Jugendämter. Dazu zählt Kleibömer unter anderem:
– Abschaffung des Primats „freie Träger vor Kommune“ bei den Angeboten der Hilfen zur Erziehung.
– Eine gesetzliche Festlegung des Personalschlüssels für den ASD.
– Die Beteiligung Betroffener muss bei der Auswahl der Hilfsangebote verpflichtend sichergestellt werden.
– Eine bessere Koordinierung und Verzahnung aller Hilfsangebote der städtischen Fachbereiche.