Essen. . Jugendämter sind zum Schutz von Kindern da, denen es in ihren Familien schlecht geht. Doch die Ämter sind überlastet, wie eine neue Studie zeigt
Zu wenig Personal muss sich um zu viele Fälle kümmern: Zahlreiche Jugendämter sind für ihren Einsatz gegen Kindesmisshandlungen schlecht ausgestattet. Das geht aus einer repräsentativen Befragung von mehr als 650 Mitarbeitern aus 175 Jugendämtern hervor, die die Hochschule Koblenz und die Deutsche Kinderhilfe am Montag in Berlin vorstellten. In NRW beschreiben die Betroffenen die Belastung als sehr hoch: Ein Ansprechpartner müsse sich in manchen NRW-Städten um über 100 Familien kümmern.
Kinderhilfe-Chef Rainer Becker kritisierte, dass gerade Umstände wie die Finanznot in den Städten und der Fachkräftemangel am Markt es dem Fachpersonal vor Ort oft schwer mache, die für eine Familie bestmögliche Entscheidung zu treffen. „Kinderschutz darf nicht auf Kosten von Spardiktaten vernachlässigt werden“, mahnte er.
Zwei Drittel der Arbeitszeit für Dokumentationen
Konkret befasst sich die Studie mit der Situation der 13 355 angestellten Sozialarbeiter, die Problem-Familien beraten, Hilfen koordinieren und bei Kindswohlgefährdung hinzugerufen werden. Nur in 68 Prozent der Behörden kümmert sich ein Beschäftigter zeitgleich um die empfohlene Anzahl von maximal 35 Fällen. Über die Hälfte der Befragten beklagte, bei Terminen nur eine Stunde Zeit für die Familien zu haben. Aufwändiger ist die Bürokratie: Zwei Drittel der Arbeitszeit gehen für Dokumentationen drauf.
Dass die Jugendämter mehr zu tun haben, begründete Margaretha Müller vom Kinderschutzbund NRW nicht nur mit der hohen Anzahl minderjähriger Flüchtlinge. „Wir erleben auch, dass in der Gesellschaft eine hohe Sensibilisierung für das Thema entstanden ist und Verdachtsfälle von Kindswohlgefährdung eher gemeldet werden“, sagte Müller gegenüber dieser Redaktion. 2016 gab es in NRW 35 011 Verdachtsfälle. In etwa zwei Dritteln der Fälle erhärtete sich der Verdacht.
Städtetag fordert mehr Hilfe für die Kommunen
Der Deutsche Städtetag fordert mehr Finanzhilfen für die Kommunen. Seit 2006 hätten sich die Ausgaben zur Erziehungshilfe von 5,6 auf zuletzt 12,2 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Der Vorschlag in der Koblenzer Studie, Kinder- und Jugendhilfe in die Verantwortung des Bundes zu legen, findet indes kaum Widerhall. Essens Jugendamtsleiter Ulrich Engelen, dessen Sozialarbeiter im Schnitt rund 70 Fälle bearbeiten, wehrt ab. Nur in kommunaler Hand könnten sozialräumliche Anforderungen und andere städtische Besonderheiten auch konsequent berücksichtigt werden, so Engelen.