Herne. . Das junge Team bringt mit „Paul“ intensives Theater zur Premiere in den Flottmann-Hallen. John Sander spielt den Jonas stark und textsicher.
- Das Regietrio Malina Hoffman, Anna-Lotta Iserloh und Sefa Küskü inszeniert „Paul“ als Pubertätsdrama
- Der 16-jährige Jonas kommt von seinem verstorbenen Bruder Paul nicht los
- In den Flottmann-Hallen sieht das Publikum 60 Minuten intensives Theater
Als Jonas die Tagebücher seines längst toten Bruders Paul findet, wird ihm klar: Paul war schwul. Als dessen Freund Petr bei einem Hausbrand angeblich stirbt, nimmt sich Paul das Leben. Oder hat er den Zug, der ihn überfahren hat, einfach nicht gehört? War in Gedanken vertieft? War es ein Unfall? Petr war doch bei Pauls Beerdigung. Oder?
Jonas im Schatten seines toten Bruders
502 Tage sind zwischen Jonas‘ erstem und Pauls letztem Tag vergangen. Jetzt ist Jonas 16 Jahre alt – und noch verwirrter als es die meisten Jungs in seinem Alter ohnehin sind. Er hat viele Fragen, denn das Leben seines Bruders, den er nie kennengelernt hat, scheint ihm der Schlüssel zu seiner eigenen Identität zu sein. Er fühlt sich in seinem Schatten, beschattet, beobachtet.
Was das vorwiegend junge Publikum am Samstag im ausverkauften Theatersaal der Flottmann-Hallen zu sehen bekam, waren 60 Minuten pures, intensives Theater – beklemmend, packend, spannend. Lacher gab es keine. John Sander spielt den Jonas, den Suchenden, unheimlich stark und komplett textsicher. Paul spielt nicht, er wird von Mats Gehrke eher verkörpert. Er sitzt fast die ganze Zeit auf einem Palettenstapel im Schneidersitz mit dem Rücken zum Publikum. Drei junge Frauen spielen die Eltern und Freunde; manchmal sprechen Stimmen aus dem Off.
Trio hat „Paul“ als Pubertätsdrama inszeniert
Das Stück basiert auf einem Roman des Schweden Håkan Lindquist; zu ihm heißt es in einem Lexikon lapidar: Seine Romane behandeln unter anderem das Thema der gleichgeschlechtlichen Liebe. Doch Homosexualität spielt überhaupt keine Rolle. Das Regietrio Malina Hoffman, Anna-Lotta Iserloh und Sefa Küskü inszeniert die Vorlage quasi als Pubertätsdrama: Ein junger Mann auf der Suche nach sich selbst. Denn noch hat Jonas sich nicht gefunden; er und Paul tragen identische Kleidung.
Mehrmals bittet Jonas seine Mutter: „Erzähl‘ es mir noch einmal.“ Und dann: „Hat es weh getan?“ Die Antwort aus dem Off: „Er war sofort tot.“ Als er Pauls Jacke anzieht, sind die Eltern böse mit ihm. Jonas versteht nicht: „Alle Tage soll ich das Ersatzkind sein?“
Unheimliche Atmosphäre durch Ton und Licht
Mit pochenden Geräuschen und einer flackernden Hängelampe erzeugen die Regisseure eine mitunter unheimliche Atmosphäre. An Wäscheleinen sind die Überreste aus Pauls Leben aufgehängt: Comics, Fotos, Postkarten. Klug auch die Idee, Paul stumm und fast unbeweglich da sitzen zu lassen. Ebenfalls intelligent die Musikeinsätze: Mehrfach erschallt „Time of the Season“, die britische Rockband „The Zombies“ hatte mit dem Song 1968 einen Hit.
Zum Schluss schreibt Jonas Pauls Tagebuch zu Ende. Jetzt scheinen beide ihren Frieden gefunden zu haben. Das Publikum belohnte die eindrucksvolle Vorstellung mit vielen Vorhängen.