Herne. Michelle Müntefering bezieht Stellung: Die SPD-Politikerin erklärt, dass sie sich von der Staatsfeinde-Liste der Türkei nicht beeindrucken lässt.
- Michelle Müntefering (SPD) nimmt in Interview ausführlich Stellung zu türkischen Staatsfeinde-Liste
- Sie sei „eher betroffen“, wolle sich aber nicht beeindrucken lassen, so die Bundestagsabgeordnete
- Renate Sommer (CDU) bezeichnet Verhalten der türkischen Regierung als „unverschämt“
Michelle Müntefering bezieht Stellung. Nachdem die SPD-Bundestagsabgeordnete am Mittwoch auf die überraschende Nachricht, dass ihr Name auf einer Staatsfeinde-Liste des türkischen Geheimdienstes steht, mit einer knappen Pressemitteilung reagiert hat, legt sie am Donnerstag nach: In einem Interview mit der Deutschen Presse Agentur (dpa) äußert sich die 36-Jährige ausführlich. Eine Botschaft: „Ich lasse mich davon nicht beeindrucken.“
Sie sei am Montagnachmittag vom Bundeskriminalamt über die Liste informiert worden, berichtet sie. Dass sie auf der Liste gelandet sei, habe sie „eher betroffen“ gemacht. Die Mittel, die die türkische Regierung wähle, um Meinungsfreiheit zu unterdrücken, „sind unverhältnismäßig, aber auch willkürlich“. Die Türkei sei aber viel mehr als Präsident Erdogan; der Dialog müsse deshalb fortgesetzt werden.
Entsetzt über Methoden in der Türkei
Sie unterhalte Kontakte zu türkischen Oppositionellen, auch zu Gülen-Vertretern, so Müntefering. Mit Pro-Erdogan-Gruppen habe sie aber viel öfter gesprochen. Sie stehe keiner der beiden Gruppen nahe.
Es entsetze sie zu sehen, „mit welchen Methoden Menschen denunziert werden sollen“, erklärt Müntefering. In der Türkei seien tausende Menschen jenseits rechtsstaatlicher Normen und Regeln als angebliche Terroristen suspendiert oder inhaftiert worden. Das habe sie kritisiert. Sie lasse sich von den Methoden der türkischen Regierung nicht beeindrucken und suche weiter den Dialog. An die Bundesregierung appelliert sie, sich zu überlegen, wie es nach dem Referendum mit der Türkei weitergehe: „So wie bislang jedenfalls kann es nicht bleiben.“
Die CDU-Europaabgeordnete Renate Sommer kritisiert das Verhalten der türkischen Regierung als „unverschämt“ und „rechtlich unzulässig“. Sie sei schon vor Jahren Denunziationen ausgesetzt gewesen — allerdings nicht durch den Staat, sondern durch der Regierungspartei AKP nahe stehenden Personen und Gruppen, sagt sie auf Anfrage.
Das Interview mit Michelle Müntefering
Das dpa-Interview mit der SPD-Bundestagsabgeordneten Michelle Müntefering im Wortlaut.
Wer hat Sie wann und wie informiert, dass Sie auf der Liste stehen?
Michelle Müntefering: Montagnachmittag hat das BKA mich unterrichtet, dass es eine Liste der Türkei gäbe, auf der auch mein Name auftaucht. Dass es sich um die besagte Liste des türkischen Geheimdienstes handelt, die in München an Deutschland übergeben wurde, konnte ich mir dann nach den Medien-Berichten am Abend zusammenreimen. Gestern wurde es mir dann von einem Investigativ-Journalisten bestätigt.
Wie erklären Sie sich, dass Sie auf der Liste gelandet sind?
Müntefering: Ich bin als Vorsitzende der Parlamentariergruppe intensiv mit der Türkei beschäftigt. Klar ist: Die türkische Regierung fährt einen radikalen Kurs gegenüber Kritikern. Die Mittel, die gewählt werden, um Meinungsfreiheit zu unterdrücken, sind unverhältnismäßig, aber auch willkürlich. Das habe ich klar und deutlich gesagt. Der Angriff auf mich trifft meines Erachtens allerdings nicht nur mich allein, sondern auch die Arbeit der Parlamentariergruppe insgesamt.
Schaden für die deutsch-türkische Beziehung
Waren Sie überrascht?
Müntefering: Es macht mich eher betroffen. Denn die deutsch-türkischen Beziehungen, die mir am Herzen liegen, haben in den letzten Monaten immensen Schaden genommen. Dabei ist ein gutes Verhältnis unserer Länder, die einander länger verbunden sind als es unsere Staaten überhaupt gibt, so wichtig. Die Türkei ist viel mehr als Erdogan, sie ist ein wunderbares Land, mit vielen großherzigen Menschen. Das dürfen wir auch in schwierigen Zeiten nie vergessen. Deswegen brauchen wir auch weiter den Dialog.
Welche Kontakte haben Sie zu der Gülen-Bewegung?
Müntefering: Als Außenpolitikerin im Bundestag bin ich für die Türkei und den Nahen und Mittleren Osten zuständig. In meinem Wahlkreis leben tausende Deutsch-Türken, die alle in verschiedenen Vereinen und Gruppen organisiert sind und mit mir diskutieren wollen. Das mache ich auch. Meine Aufgabe ist es, immer im Austausch zu sein und klare Worte zu finden, auch gegenüber unterschiedlichsten und schwierigsten Gesprächspartnern. Ich unterhalte Kontakte zu Oppositionellen, auch mit Gülen-Vertretern hatte ich ein paar mal Kontakt, mit Pro-Erdogan-Gruppen allerdings noch viel öfter. Keiner von beiden Gruppen stehe ich nahe, denn als deutsche Abgeordnete vertrete ich die Interessen unseres Landes im In- und Ausland. Allerdings hat die Gülen-Bewegung vor Jahren nach einem Termin mit Kindern- und Jugendlichen meinen Namen ungefragt für eine Veranstaltungswerbung verwendet. Da stand dann mein Name dann neben dem von Obama, das war schon fast wieder lustig; aber diese Vereinnahmung habe ich natürlich gleich als grenzwertig vermerkt und Termine aufs Nötigste begrenzt. Dennoch entsetzt es mich jetzt zu sehen, mit welchen Methoden Menschen denunziert werden sollen. In der Türkei ist es bereits weit über hunderttausend Menschen so ergangen. Die haben aber im Gegensatz zu uns keinen Rechtsstaat, sondern sind einfach suspendiert oder ins Gefängnis gebracht worden, darunter auch zahlreiche Diplomaten im Auswärtigen Dienst. Angeblich alles Terroristen. Auch das habe ich kritisiert.
Offen und kritisch diskutieren
Welche persönlichen Konsequenzen ziehen Sie aus der Enthüllung?
Müntefering: Ich lasse mich davon nicht beeindrucken und bleibe im Gespräch. Demnächst besucht eine Ditib-Jugendgruppe den Bundestag - auch mit ihnen werde ich offen und kritisch darüber diskutieren, wohin das Land ihrer Vorfahren steuert. Deutschland ist sicher nicht perfekt, aber wir sind ein Rechtsstaat, eine starke Demokratie, die wir pflegen müssen. Denn ungefährdet ist Demokratie nie, diese Lehre aus unserer Geschichte müssen wir auch an die jungen Deutsch-Türken weitergeben. Sie sollen sehen: Demokratisch und gemeinsam kann man besser Frieden bewahren, als nationalistisch und abgeschottet.
Welche Konsequenzen muss die Bundesregierung daraus ziehen?
Müntefering: Die Bundesregierung muss sich überlegen, wie es nach dem Referendum mit der Türkei weitergeht. So wie bislang jedenfalls kann es wohl nicht bleiben. Ich hoffe jedoch, dass sich die Türkei nicht gänzlich von Europa abwendet.