Herne. Kinderärzte melden mögliche Misshandlungsfälle und Eltern, die ihren Nachwuchs nicht zu Voruntersuchungen schicken. Besonders erschreckend: die Eltern überschmiken Verletzungen ihrer Kinder.

Kinderbeine werden schon mal von Eltern abgeschminkt, um blaue Flecken zu überdecken, erzählt ein Wanner Kinderarzt, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Und er berichtet von Eltern, die bei Frühuntersuchungen offenkundige Verletzungen ihrer Kinder auf deren Ungeschicktheit schieben.

Die Untersuchungen von Kleinkindern durch den Haus- und Kinderarzt bieten dem Staat, neben der Gesundheitsvorsorge der kleinen Bürger, auch die Möglichkeit, auf mögliche Misshandlungsfälle aufmerksam zu werden. Besonders der Kinderarzt, so die Intention, ist durch seine Ausbildung auf das Erkennen von Misshandlungsfälle spezialisiert und kann in den meisten Fällen erkennen, ob ein Kind die Treppe hinunter gefallen ist – oder eben geschlagen wurde. Ist Letzteres der Fall, verständigt er die Behörden.

Dies ist eine Möglichkeit für öffentliche Einrichtungen, auf die Gesundheit der Kinder zu achten. Doch ist für den Doktor auch klar: Eine körperliche Misshandlung zu beweisen, das gehe noch; eine seelische Misshandlung festzustellen, sei da schon weitaus schwieriger: „Ich kann nur auf den Umgang der Eltern mit dem Kind schauen, ist er herzlich und zärtlich. Ob Eltern seit Tagen nicht mehr mit ihren Kindern geredet haben, kann ich nicht beweisen. ”

Neben Verdachtsfällen informiert der Arzt die Zentrale Stelle Gesunde Kindheit auch darüber, ob die kleinen Patienten bei der Vorsorgeuntersuchung waren oder nicht. In Nordrhein-Westfalen wurde die Stelle allein im Zeitraum vom 1. August bis zum 1. September über 8000-mal aktiv: Sie forderte 4629 Eltern zur U5-Untersuchung und 3458 Eltern zu U-6 Untersuchungen auf. 1749 Kleinkinder besuchten nicht den Arzt und sind jetzt ihrem jeweiligem Kommunen gemeldet worden.

Insgesamt 13 Herner schrieb das Jugendamt an. Sieben meldeten sich telefonisch oder ließen gleich den Kinderarzt anrufen, um die Unstimmigkeit zu klären. „Oft sind zeitliche Überschneidungen bei den Daten der Grund oder sprachliche Probleme. Besonders oft vergessen die Eltern die Untersuchungen aber auch, oder der Termin geht im Alltag unter”, erläutert Julia Finke, Mitarbeiterin des neuen Begrüßungsteams der Stadt, die Gründe.

Doch es gibt offenbar auch jene, die sich erst gar nicht beim Amt melden. „In Herne ist es eine erfreulicherweise sehr geringe Zahl an Eltern, die sich nicht meldet. Sechs Mal werden wir jetzt einen Besuch bei den Familien durchführen, um die Kleinkinder in ihrem Lebensumfeld besuchen zu können”, kündigt Finke an.

„Für uns ist das ein Hinweis zum Hinschauen, ob alles in Ordnung ist”, so Finke und besucht mit ihren Kolleginnen Eltern und Kinder, die nicht an der Frühuntersuchung für Kinder teilnehmen. „Dabei möchten wir nicht nur das Kind sehen, sondern auch die Lebensumstände, in denen es lebt, um uns ein Bild von der Situation zu machen. Dass Eltern nicht mit ihren Kleinkindern zur Untersuchung gehen, heißt nicht, dass sie ihre Kinder vernachlässigen.” Mögliche Gründe: Ein Elternteil ist Arzt, ein anderer will aus religiösen Gründen nicht zur Frühuntersuchung.

Doch was passiert, wenn die Eltern das Besuchsteam nicht in die Wohnung lassen und ihr Kind partout nicht zeigen wollen? „Bei einer strikten Ablehnung der Kooperation mit uns und der Verweigerung der Frühuntersuchung des Kindes äußern wir gegenüber dem sozialen Dienst den Verdacht auf Kindeswohlgefährdung. Mitarbeiter des Beratungsdienstes nehmen dann das Verfahren auf”, berichtet Finke. Und: „Das kann bis zur einer gerichtlichen Anordnung zum Eintrittserlass führen.”