Düsseldorf. Nach dem Überfall auf ein Mädchen in Velbert sind viele Eltern verunsichert: Wie viel Freiheit kann ich meinem Kind lassen? Wie kann ich es schützen? Rosemarie Krienke, analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, rät dazu, Kinder konkret auf Gefahrensituationen vorzubereiten.


Frau Krienke, viele Eltern sind nach dem Überfall auf ein junges Mädchen in Velbert verunsichert. Können Eltern ihre Kinder noch allein durch die Stadt laufen lassen?


Rosemarie Krienke: Natürlich muss man seinen Kindern Freiheiten lassen. Wie das im Einzelfall aussieht, ist abhängig vom Alter und von der Selbständigkeit des Kindes. Eltern müssen sehen, auf welchem Entwicklungsniveau sich ihr Kind befindet. Ob die Kinder die Fähigkeit haben, sich selbst zu schützen, zum Beispiel auch „nein“ zu sagen, wenn sie auf der Straße angesprochen werden.


Welche Freiheiten braucht ein Kind, um sich normal zu entwickeln?


Krienke: Kinder müssen die Möglichkeit haben, eigene Erfahrungen zu machen. Nur so können sie lernen, Gefahrenquellen zu erkennen, auf sich selbst aufzupassen oder sich Hilfe zu holen. Klare Rezepte, zum Beispiel „ab diesem Alter darf das Kind bis zu jener Uhrzeit draußen spielen“, sind nicht realistisch. Das hängt davon ab, in welchem Umfeld das Kind aufwächst, wie seine individuelle Entwicklung verlaufen und wie selbständig es ist.


Welche Fehlentwicklungen kann mein Kind nehmen, wenn ich es zu sehr einenge?


Krienke: Wenn Kinder zu sehr behütet werden, lernen sie nicht, sich zu schützen. Dann ist immer ein Aufpasser in der Nähe, der die Verantwortung für sie übernimmt. Das kann das Aktivitätsbedürfnis der Kinder einschränken – sie werden passiv und erwarten, dass immer jemand da ist, der sie „bespielt“, die Verantwortung trägt. Dies kann sich auch negativ auf die Schulleistungen auswirken.


Kann ich meinem Kind helfen, sich vor Gefahren zu schützen?


Krienke: Kinder sollten die Erfahrung gemacht haben, bei ihren Eltern einen sicheren Hafen zu finden, in welchem sie auch unangenehme Themen besprechen können. Auf dieser Basis können Eltern ihre Kinder auch auf Gefahren vorbereiten, indem sie mit ihren Kindern über Gefahrenpotentiale sprechen. Am konkreten Beispiel bedeutet das: Ich spiele mit meinen Kindern Situationen durch, in denen sie von Fremden angesprochen werden, und überlege mit ihnen, wie sie darauf reagieren können. Weglaufen, laut schreien - oder schon vorher darauf achten, dass sie nicht allein durch dunkle Straßen laufen.


Ist es sinnvoll, dass Eltern ihre Kinder aus der Ferne, zum Beispiel mit Handyüberwachung, schützen?


Krienke: Ich finde das prinzipiell nicht gut. Kinder brauchen Phasen, in denen sie nicht überwacht werden. So können sie Dinge wie Verlässlichkeit, also beispielsweise Absprachen mit den Eltern aushandeln, einhalten und Verantwortung übernehmen, lernen. Gegen das Handy als Kommunikationshilfe ist nicht zu sagen. Es ist aber ein Irrtum, dass der Besitz eines Handys vor Gewalttaten schützen kann.


Wie kann ich als Elternteil sicherstellen, dass ich mich nicht falsch verhalte und überreagiere?


Krienke: Eltern sollten nicht versuchen, alle Probleme selbst zu lösen. Viele denken, als Eltern müssten sie alles selber wissen. Das stimmt nicht. Es ist viel wichtiger, dass sich Eltern auch Fehler oder Hilflosigkeit zugestehen und es wagen, sich mit anderen besprechen. Das müssen nicht immer Experten sein. Auch ein Blick in die eigene Kindheit, die gemachten Erfahrungen und auf die selbst erlernten Bewältigungsmechanismen in Konfliktsituationen kann hilfreich sein.

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