Heiligenhaus. .

Das gezielte Durchstechen von Hautpartien ist eine Jahrtausende alte Tradition. Dabei handelte es sich neben der ästhetischen Funktion meistens um die Abgrenzung zu anderen Volksstämmen, um spirituelle Rituale oder um die Kennzeichnung des gesellschaftlichen Status.

Heute haben zahlreiche Menschen Körperschmuck an sich, ihr Bauchnabel ist gepierct, der Ohrknorpel durchstochen oder in ihrer Zunge steckt ein bunter Stab.

Semphy Butgereit hat die Vorliebe der Menschen für außergewöhnlichen Körperschmuck, sprich das Piercen, zum Beruf gemacht. „Angefangen hat das Ganze so vor 20 Jahren. Der Hang zu schönen Bildern und die Eins in Kunst waren aber schon immer da“, erzählt der Piercer und Tätowierer. Der ehemalige Gastronom wurde bei einem Motorradtreffen auf einen Tätowierer aufmerksam, war sich aber (selbst)sicher: „Ich kann das besser!“, erinnert sich der Studioinhaber heute und lacht.

„1996 habe ich dann ein Gewerbe angemeldet.“ Von Ausbildung war da aber keine Rede. Und genau das ist das Kuriose. „Das Gesetz sieht unglaublicher Weise die Sache so: Es darf ohne Wissensprüfung gepierct werden – also Gewerbe anmelden und Nadel rein. Die sichere Durchführung steriler Arbeitsabläufe ist dann aber noch längst nicht gegeben“, weiß der Profi.

Hygiene ist wichtig

Und Sauberkeit sowie steriles Arbeiten stehe im „Trinity-Studio“ an der Hauptstraße an erster Stelle. „Dem ersten Nadelstich geht eine genaue Theoriekenntnis von Hygiene und auch von Menschenführung voraus. Das kann schon mal ein bis zwei Jahre in Anspruch nehmen“, weiß Butgereit aus der Praxis. Und: „Die Nadel ist immer der allerletzte Schritt zum Piercer.“

Über die Jahre hinweg konnte der Studiobesitzer einige Trends in Sachen Körperkult erkennen, egal ob Tattoo oder Piercing. Bei der bunten Körperkunst seien es vor allem Sterne, die momentan im Trend liegen. „So wie früher jeder die gleiche Rose auf dem Arm hatte, haben heute ganz viele Sterne tätowiert.“ Aber auch Daten, Schriftzüge und ganz persönliche Sachen seien sehr beliebt. „Ich habe auch schon einer Mama die ersten Herztöne ihres Kindes eintätowiert. Da kommen manche auf ausgefallene Ideen“, so Butgereit.

Ein Piercing zum Geburtstag

Bei den Piercings hingegen sehe es etwas unspektakulärer aus. Standardpiercings wie Bauchnabel oder im Lippenbereich seien Routine. Und ein „Opfer“ ist beim Interview-Termin mit der WAZ tatsächlich schnell gefunden: Natalie Holzhauser lässt sich ihren Bauchnabel piercen. „Es war ganz spontan. Semphy hat mir einen Piercinggutschein zum Geburtstag geschenkt und wir haben uns heute einfach dazu entschlossen, es zu stechen“, so die 34-Jährige (die doch noch ein wenig nervös wirkt).

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Nicht alle nehmen das Piercen so locker. „Manche kommen zu mir, wollen zwar ein Piercing, haben aber wirklich Angst in den Augen. Da ist es wichtig, beruhigend auf die Menschen einzuwirken“, so der „Mann mit der Nadel“. Im Studio selbst sei es aber auch wichtig, sich Zeit zu lassen. „Ein umfassender Piercing-Termin kann locker eine Stunde dauern“, stellt er klar. Dabei solle eine Beratung ohne Hektik, rechtliche Dinge, wie der Altersnachweis bei Jugendlichen, und die Besprechung der Nachsorge Standard sein. „Und Finger weg vom Piercing! Die Wunde ist ein Eingangsportal für Bakterien und Keime“, warnt der Kenner.

Natalie Holzhauser scheint das Einsetzen des Schmuckstückes gut überstanden zu haben. Zumindest zeigt sich die frisch Gepiercte gegenüber der WAZ-Reporterin tapfer: „Ach, es war gar nicht schlimm, auf jeden Fall sehr gut auszuhalten.“ Aber wer schön sein will, muss ja bekanntlich ein wenig leiden.