Heiligenhaus. Vor der Heiligenhauser Praxis „Die Internisten“ stehen die Menschen Schlange. Doch mitten in der Pandemie überrollt die Ärzte eine Regressflut.

Genervte Patienten, die lange in der Schlange stehen und teilweise beleidigend gegenüber dem Praxispersonal werden, das ist mittlerweile Alltag auch in Heiligenhauser Praxen geworden. Doch nun kommt für die niedergelassene Ärzte noch mehr Ärger hinzu: Eine wahre Regressflut von Krankenkassen kommt über sie, in einer Zeit, in der mit der vierten Welle der Coronapandemie gekämpft wird. Doch für Patienten der Internisten an der Rheinlandstraße hat es nun weitreichende Konsequenzen: Wer IKK Classic versichert ist, wird hier nicht mehr geimpft. Corona-Schutzimpfungen sind davon jedoch nicht betroffen.

Wie viel in der Praxis an der Rheinlandstraße los ist, das ist mittlerweile sogar Stadtthema: Bis hinunter zum Thormählenpark warten Menschen vor allem zu den offenen Impfstrechstunden. „Seit es möglich ist, impfen wir, so viel es geht. Wir betreuen ja auch zwei Seniorenheime“, berichtet Sehring. Er ist einer der Fachärzte der Praxis – und ihm platzt so langsam der Kragen: „Wir erleben derzeit eine Regressflut. In den letzten zwei Monaten haben wir mehr Regresse erhalten als in den ganzen zwölf Jahren, die wir nun hier niedergelassen sind.“

Heiligenhauser Praxis sieht das Verhältnis zur IKK Classic gestört

Die Ärztin Dr. med Michaela Mertens aus der Praxis Die Internisten hat derzeit alle Hände voll zu tun – unter anderem auch mit den Corona-Schutzimpfungen.
Die Ärztin Dr. med Michaela Mertens aus der Praxis Die Internisten hat derzeit alle Hände voll zu tun – unter anderem auch mit den Corona-Schutzimpfungen. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Konkret handelt es sich um Vorgänge von vor zwei Jahren und nicht um eine aktuelle Corona-Schutzimpfung; die ist nämlich eine staatliche Leistung. Richtig wütend ist Sehring über die Impfregresse der IKK Classic aufgrund eines Formfehlers: „Wir haben das Kreuz an einer falschen Stelle gemacht, denn wir hätten den Impfstoff über Praxisbedarf abrechnen müssen und nicht über den einzelnen Patienten.“ Was ein Impfregress konkret bedeutet? „Wir kriegen die Impfung, die wir durchgeführt haben, nicht nur nicht bezahlt, sondern sollen auch den Impfstoff, den wir verabreicht haben, selber bezahlen.“ Die Konsequenz, die die Internisten nun ziehen, ist deutlich: „Wir werden Patienten der IKK Classic nicht mehr impfen, da das Vertrauen zu der Krankenkasse gestört ist.“

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Die jedoch sieht auf ihrer Seite keine Schuld: „Die Kosten für Impfungen im Rahmen der Sprechstundenbedarfsvereinbarung werden über ein Umlageverfahren von allen beteiligten Krankenkassen anteilig getragen. Die IKK Classic hat somit bereits die Impfstoffkosten über den Sprechstundenbedarf bezahlt“, teilt das Unternehmen mit. Da die Impfung jedoch auf Rezept erfolgt sei, habe die Apotheke, die den Impfstoff ausgegeben habe auf Rezept, diese ebenfalls mit der Krankenkasse abgerechnet. Somit sei es zu einem wirtschaftlichen Schaden gekommen, „kurzum: die Impfungen wurden sozusagen zwei Mal von uns bezahlt.“ Die Kasse handele nun nur nach gesetzlichen Vorgaben.

Zeitpunkt für Regresswelle sieht die Praxis als extrem ungünstig

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Dem widerspricht Sehring: „Wir haben eine Impfung durchgeführt und nicht zwei Mal abgerechnet.“ Nicht immer habe eine Praxis jeden Impfstoff auf Lager, „hier handelte es sich zudem um Lebendimpfstoff, den wir extra bestellen mussten. Was die rechtliche Lage angeht, weiß ich, stehen wir auf schwachen Füßen, bedingt durch ein strukturelles Problem. Wir haben ein dysfunktionales Gesundheitssystem. Aber für mich ist, das, was die Krankenkasse jetzt macht, Raubrittertum“, kreidet er das Verhalten an. „Diese Regresswelle der Krankenkassen treibt uns die Wutesröte ins Gesicht. In einer Zeit, in der das bundesdeutsche Gesundheitssystem mit seinem grotesken Verwaltungsoverkill vor dem Zusammenbruch steht, leben einige Krankenkassenfunktionäre wohl in einer Parallelwelt.“

Dass Bundesgesundheitsministerium sieht, auf WAZ-Nachfrage, keinen Fehler im System; niedergelassene Ärzte seien zu Wirtschaftlichkeit verpflichtet zudem teilt ein Sprecher mit: „Der Bundesregierung liegen keine Informationen zu einer Regressflut vor.“ Deswegen plane man in Berlin derzeit auch keine Änderungen im System vorzunehmen. Enttäuschend aus Sicht von Sehring, die Frustration sei groß. Die Praxis habe nun erstmal Widerspruch eingelegt gegen die Regresse, momentan weiß Sehring noch nicht, wie es dann weitergeht: „Ich habe wirklich überlegt, die Praxis aufzugeben, der Frust ist groß, langsam reicht es.“