Heiligenhaus. Ein Workshop in der VHS hat Sehbehinderten und Blinden Tipps und Tricks aufgezeigt, mit denen ihnen der Alltag wesentlich erleichtert wird.

Wie unterscheidet man die Erdbeer- von der Kirschmarmelade, wenn man die Etiketten nicht lesen kann? Woher weiß man, ob die Tasse schon voll ist, wenn man den Kaffee oder Tee nicht sehen kann? Und was kann helfen, wenn man den Topf auf den Herd stellen möchte, aber nicht sieht, wo genau die Mitte der Herdplatte ist? Mit Fragen wie diesen müssen sich Sehbehinderte und Blinde im Alltag regelmäßig auseinandersetzen – und haben etliche Kniffe auf Lager. Denn Not macht bekanntlich erfinderisch.

„Es geht um das Trainieren lebenspraktischer Fähigkeiten“, erklärt Tamara Ströter, erste Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenvereins für den Kreis Mettmann. Auch sie ist blind und hat für diesen Morgen, gemeinsam mit der VHS, einen Schnupperkurs ins Leben gerufen, in dem sie Leidensgenossen praktische Tipps und Tricks im Küchenbereich nahebringen möchte.

Blinde brauchen praktische Hilfen im Alltag

„Manche Blinde und Sehbehinderte schränken ihre Lebensqualität ein, verzichten zum Beispiel auf Butter, damit nichts daneben geht oder gehen nicht mehr in Restaurants. Das muss aber nicht sein. Wir wollen hier zeigen, was möglich ist und damit zum Einzeltraining animieren.“ Denn Selbstständigkeit beim Essen kann trainiert werden, zum Beispiel mit Hilfe von Monique Dillner, die normalerweise Menschen mit einer Sehbehinderung im Einzeltraining anleitet. „Das Prinzip der kurzen Wege ist wichtig“, erklärt Dillner. „Die Marmelade und der Käse kommen eben direkt neben den Teller, beim Kochen stelle ich mir alles vorher in der Nähe des Herds zurecht.“

Finger beim Laufen einklappen

Mit dem „Einkaufsfuchs“ können sich Blinde in Geschäften Produktinformationen vorlesen lassen.
Mit dem „Einkaufsfuchs“ können sich Blinde in Geschäften Produktinformationen vorlesen lassen. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Eins der gravierendsten Probleme kann es beispielsweise sein, ein Messer zu verlegen – zum einen ist das Arbeitswerkzeug weg, zum anderen ist ein zusätzliches Verletzungsrisiko geschaffen. „Deswegen ist Struktur wichtig.“ Monika, die an dem Kurs teilnimmt, hat ebenfalls einen Trick parat: „Wenn ich zum Beispiel Eier aus dem Kühlschrank geholt habe, stecke ich sie in die Taschen meiner Schürze. Dann hab ich beide Hände frei und kann ungehindert zum Herd zurückgehen. „Dabei aber unbedingt die Finger einklappen“, ergänzt Monique Dillner. Denn wer nichts oder wenig sieht, läuft leicht irgendwo gegen – die Finger werden durchs Krümmen vor Verstauchungen oder ähnlichen Verletzungen geschützt.

Elektronischer Stift liest Etiketten

Blinden-und Sehbehindertenverein für den Kreis Mettmann

Die erste Vorsitzende Tamara Ströter ist demnächst auch im WDR-Fernsehen zu sehen. Die Sendung „Quarks und Co“ stellte zum Tag des Hörens die Frage, ob Blinde besser hören als Sehende. Die Auflösung dieser Frage ist am 31. März ab 20 Uhr zu sehen.

Jörg Moses, zweiter Vorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenvereins, hat noch einen Rest Sehkraft. „Dann kann man im Alltag auch mit kräftigen Farben arbeiten“, erzählt er. „Zum Beispiel ist es gut, dunkle Teller zu nehmen, weil viele Nahrungsmittel hell sind.“ Einfache Helfer können auch bunte Silikonbänder sein, auf die unterschiedlich geformte Noppen aufgebracht werden. Um Gläser gelegt, erleichtern sie die Unterscheidung der Inhalte. Etwas technischer geht es aber auch: Der Penfriend ist ein elektronischer Stift, mit dessen Hilfe sich Mini-Etiketten mit immer wieder veränderbaren Sprachhinweisen versehen lassen. Die Etiketten klebt der Blinde auf – und hört beim nächsten Berühren mit dem Stift, dass sich beispielsweise Honig im Glas befindet.

Schränke immer geschlossen halten

Silikonringe mit unterschiedlichen Ausprägungen dienen dazu, Lebensmittelgläser und deren Inhalt zu kennzeichnen.
Silikonringe mit unterschiedlichen Ausprägungen dienen dazu, Lebensmittelgläser und deren Inhalt zu kennzeichnen. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

„Beim Einzeltraining geht es aber darum, dass jeder und jede in ihrem Umfeld zurechtkommt“, erzählt Monique Dillner. „Dabei nehmen wir zum Beispiel auch Rücksicht auf rückenschonende Organisation von Abläufen, der Mensch wird als Ganzes betrachtet.“ Zentrierlöffel mit Markierungen dienen als Hilfe beim Kochtopf-Platzieren, Füllstandsanzeiger piepen, wenn genug Tee im Glas ist. „Schränke sollte man nie offenlassen, das kann gefährlich werden“, weist Kurs-Teilnehmerin Monika auf eine scheinbare Kleinigkeit hin. Und Claudia, die seit Geburt blind ist, liest vom in Blindenschrift beschrifteten Silikonarmband vor: „Glühweinkuchen. Frohe Weihnachten“. Das passt zwar nicht ganz zur aktuellen Jahreszeit, zeigt aber Möglichkeiten auf. „Die Ansprüche der Teilnehmer sind ja auch unterschiedlich. Manche wollen selbst kochen, andere nur Besteck so benutzen, dass sie im Restaurant nicht auffallen“, so Dillner.

80 Prozent der Eindrücke sind visuell

80 Prozent der Eindrücke, die jeder sehende Mensch tagtäglich aufnimmt, kommen über die Augen. Fallen die aus, übernehmen die anderen Sinne, werden teils stärker als bei Sehenden. Nach wie vor verunsichert Blindheit aber viele Menschen: „Manche Menschen reden extralaut mit mir oder lieber mit einem sehenden Begleiter. Die haben oft einfach Angst“, berichtet Tamara Ströter. Und wünscht sich offene Begegnungen – denn die machen das Leben sogar für beide Seiten leichter. Hier gibt es mehr Artikel und Bilder aus Heiligenhaus