Hattingen. Ein WAZ-Bericht über einen Treff für junge Queere in Hattingen hat Hans-Jürgen Laufer animiert, Einblick zu geben in sein Leben als Transvestit.

Barbara hat sich schick gemacht, trägt ein cremefarbenes Paillettenkleid, silberfarbene High Heels, Goldschmuck – und eine Damenperücke. So gestylt lebt Hans-Jürgen Laufer (79) als Barbara einen wichtigen Teil seiner Persönlichkeit aus. Seit mehr als sechs Jahrzehnten trägt er regelmäßig Frauen zugeordnete Kleidungsstücke. Doch dies öffentlich zu machen, dazu hat den Transvestiten erst jetzt ein WAZ-Bericht über einen Treff für junge LSBTIQs im Jugendzentrum Welper veranlasst.

„Ein großes Danke für diesen Artikel“, sagt der Hattinger. Und dass er sich gewünscht hätte, solche Angebote für queere Menschen, die ihnen eine Anlaufstelle bieten, um sich in geschützter Atmosphäre miteinander auszutauschen, hätte es schon vor 60 Jahren gegeben.

Immer, wenn er allein zu Hause war, schlüpfte der Hattinger in Frauenkleider

Doch die Zeiten Ende der 1950er-Jahre waren andere. 14, 15 sei er gewesen, als er erstmals einen intensiven Drang verspürte, sich Frauenkleider anzuziehen, sagt Hans-Jürgen Laufer. Immer, wenn er allein zu Hause war, schlüpfte er in Kleider der Schwester und der Mutter. In einer Abstellkammer. Und jedes Mal habe er „Sorge gehabt, dass das rauskommen würde“. Doch sein Transvestitismus blieb unentdeckt; und unausgesprochen.

Auch interessant

Rückblickend erinnert sich Hans-Jürgen Laufer an für ihn wichtige Erlebnisse für seinen allmählichen Weg raus aus einem Leben, in dem er diesen so wichtigen Teil seiner Persönlichkeit aus Angst vor drastischen negativen Reaktionen selbst im privaten Umfeld versteckte. „Jahrelang in einem solchen Zwiespalt zu leben, ist unerträglich.“

Seine Frau ahnte schon früh, dass Barbara ein Teil von Hans-Jürgen ist

An einem Tag im Jahre 1968, während eines Studentenaustausches in London, erzählt er, habe er vor einem Schuhgeschäft auf der Kings Road gestanden, liebäugelnd mit einem Paar Damenschuhen Größe 45. „Aber in den Laden zu gehen und sie zu kaufen, dazu hatte ich damals noch nicht den Mut.“

Und die ersten Frauenkleider, die er sich während seiner Studentenzeit in Aachen kaufte, versteckte er im Kleiderschrank. Selbst seiner damaligen Freundin und heutigen Frau Hildegard zeigte er sie damals noch nicht. Gleichwohl, sagt diese heute, habe sie schon damals geahnt, dass Barbara ein Teil von Hans-Jürgen ist.

Dies sind die ersten High Heels, die sich Hans-Jürgen Laufer Ende der 1970er-Jahre kaufte –  für 220 D-Mark bestellte er die roten Lackschuhe damals bei einer Spezial-Schuhfabrik. Heute passen sie ihm nicht mehr. „Sie sind nun meine teuersten Buchstützen“, sagt er.
Dies sind die ersten High Heels, die sich Hans-Jürgen Laufer Ende der 1970er-Jahre kaufte – für 220 D-Mark bestellte er die roten Lackschuhe damals bei einer Spezial-Schuhfabrik. Heute passen sie ihm nicht mehr. „Sie sind nun meine teuersten Buchstützen“, sagt er. © Sabine Kruse

Die ersten High Heels kaufte dieser sich dann Ende der 1970er: Die roten Lackschuhe für 220 Mark bestellte er dabei bei einer Spezial-Schuhfabrik, weil es High Heels in großen Größen in dieser Region damals noch nicht in stationären Läden, ja, nicht einmal in Sex Shops gab.

Mit 50 Jahren ließ der Hattinger sich den Bart abrasieren

Mit anderen über seinen Transvestitismus zu reden, traute sich Hans-Jürgen Laufer aber weiterhin nicht. Erst die Travestie-Komödie „Tootsie“ von 1982, in der Dustin Hoffmann einen Schauspieler mimt, der sich – als Frau verkleidet – erfolgreich um die weibliche Hauptrolle in einer TV-Seifenoper bewirbt, veränderte hier etwas bei ihm. Mit 50 Jahren schließlich ließ er den Bart abrasieren und offenbarte sich engen Menschen in seinem Umfeld – nicht nur seiner Mutter und den heute 37 und 42 Jahre alten Töchtern, die von Barbaras Existenz längst geahnt hatten. Und die Hans-Peter Laufers Transvestitismus uneingeschränkt unterstütz(t)en.

Transvestitismus

Transvestitismus (von lateinisch trans „hinüber“ und vestire „kleiden“) bezeichnet das bewusste Tragen von Kleidung und Accessoires, die gemeinhin als stereotypisch gelten für die Geschlechterrolle des anderen Geschlechts innerhalb der binären Geschlechterordnung Mann/Frau – im Unterschied zu einer bloßen Verkleidung.

Das Bedürfnis nach Transvestitismus ist unabhängig von der sexuellen Orientierung einer Person, kommt also sowohl unter Heterosexuellen als auch unter Bisexuellen und Homosexuellen vor. Transvestiten sind also nicht gleichbedeutend mit Trans-Personen.

Statt des Begriffs Transvestitismus wird heute zudem (meist) der Begriff Cross-Dressing verwendet, Hans-Jürgen Laufer bezeichnet sich selbst allerdings als Transvestiten.

Nicht alle aber reagierten positiv auf Barbara. „Es gab Ablehnung, Unverständnis und Skepsis, weil man immer noch den großen, sportlichen Mann mit Familie vor sich sah“, sagt Hans-Jürgen Laufer. Und er fügt hinzu: „Es bedurfte so mancher Gespräche, damit sich Verständnis und volle Akzeptanz auch im Kreis der Verwandten, Freunde, Bekannten entwickelte.“

Hans-Jürgen Laufer aus Hattingen vor einigen Jahren, Mit 50 Jahren ließ der heute 79-Jährige sich den Bart abrasieren und offenbarte sich engen Menschen in seinem Umfeld.
Hans-Jürgen Laufer aus Hattingen vor einigen Jahren, Mit 50 Jahren ließ der heute 79-Jährige sich den Bart abrasieren und offenbarte sich engen Menschen in seinem Umfeld. © Fischer / FUNKE Foto Services | Fischer

Frühere Sozialarbeiterin für Hattinger und seine Frau eine große emotionale Stütze

Eine früher in Berlin tätige, erfahrene Sozialarbeiterin und sehr gute Freundin der Familie war für den Hattinger und seine Frau in jener Zeit eine große emotionale Stütze. Als er dieser erstmals als Barbara die Haustür geöffnet habe, erinnert sich der 79-Jährige, „da hat sie nur zu mir gesagt: Du brauchst eine Perücke“.

Im Frauenkleid, mit Schmuck und Perücke: So sieht Hans-Jürgen Laufer (79) aus Hattingen als Barbara gestylt aus.
Im Frauenkleid, mit Schmuck und Perücke: So sieht Hans-Jürgen Laufer (79) aus Hattingen als Barbara gestylt aus. © HJL

+++ Sie wollen keine Nachrichten aus Hattingen verpassen? Dann können Sie hier unseren Newsletter abonnieren. +++

Auch interessant

Heute hat Hans-Jürgen Laufer derer gleich ein paar, dazu mehr Frauenkleider als Männersachen im Schrank. Lange Zeit ist Barbara in diesen auch ausgegangen – mit Sonja, einem anderen Transvestiten, den sie in einem Internetforum kennengelernt hat. Gaststätten in Oberhausen und Leipzig, in denen Transvestiten willkommen waren, haben die zwei besucht. Doch seit Sonja gestorben ist, gibt es Barbara nur noch wieder im Lauferschen Zuhause, „aber langsam will sie wieder stärker raus“, sagt Hans-Jürgen Laufer. Und: Mitunter gebe es sogar Momente, „wo ich nicht nur Frauenkleidung tragen, sondern Frau sein möchte“.

Es gibt leider schon wieder neue Grenzen gegenüber queeren Mitmenschen

Nicht alle könnten ihn dabei bis heute verstehen, mieden bei Treffen das Thema Transvestitismus. „Und auch, wenn die Zahl der toleranten Menschen sicherlich gewachsen ist, so hat die Radikalisierung unserer Gesellschaft in gewissen Kreisen leider schon wieder neue Grenzen gegenüber queeren Mitmenschen geschaffen.“

>>> Folgen Sie unserer Redaktion auf Facebook – hier finden Sie uns

Was Hans-Jürgen Laufer alias Barbara sich wünscht für die Zukunft? „Dass Menschen sich nicht sofort negativ äußern über queere Lebensweisen, sondern versuchen, sie zu verstehen – auch, indem sie das Gespräch mit einem suchen. Alles andere macht einem das Leben noch schwerer.“

>>> Mehr Nachrichten aus Hattingen und Sprockhövel