Hattingen. Gericht in Hattingen: Drogenhandel und Drogenbesitz wurden einem Mann vorgeworfen. Mit Schüssen aus einer Pistole hatte er Aufmerksamkeit erregt.

So gewöhnlich die Anklage, so ungewöhnlich ist doch der Prozess vor dem Amtsgericht in Hattingen. Auf der Anklagebank: ein 51-Jähriger. Von jahrzehntelanger Abhängigkeit gezeichnet. Ein Mann, der sich augenscheinlich aufgeben hat, hier aber mit fast naiver Ehrlichkeit auftritt. Belohnt wird er mit einem Urteil, bei dem offenbleibt, ob es weiterhilft.

Der Tatvorwurf: Besitz und Handeltreiben mit Drogen. Heroin und Amphetamine waren bei dem Hattinger, der in einer Obdachlosenunterkunft lebt, gefunden worden. Die Grenzwerte einer geringen Menge bei den Amphetaminen überschritten.

Nun sitzt der drogenabhängige Besitzer zusammengesunken vor Gericht. Er kann sich auf seinem Platz nicht gerade halten. Weil er seinen Verhandlungstermin verschlafen hat, holt ihn die Polizei am Morgen. Aber jetzt erzählt er von allem, was passiert ist.

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Entdeckt hatte die Polizei die Drogen nur, weil er mit einer Gaspistole aus dem Fenster gefeuert hatte. Das mache er seit einigen Monaten schon, erklärt der 51-Jährige. Ein Zeuge rief die Polizei. Die Waffe ist nicht verboten. „Aber es ist schon schmerzhaft, wenn man jemanden trifft. Damit können sie nicht einfach auf jemanden schießen. Das durchschlägt auch Stoff“, betont der Angeklagte unumwunden. Er selbst habe einfach Freude daran, die Flugbahn der kleinen Plastikkugeln zu beobachten, die in das Magazin der mit Druckluftkartuschen betriebenen Pistole gefüllt werden.

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„Meine Lage, ja, die würde ich als nicht rosig ansehen“, erzählt er. „Ich bin seit Jahren heroinabhängig. Amphetamine auch, aber da bin ich nicht abhängig. Und Cannabis auf keinen Fall. Aber Kokain vielleicht noch“, zählt er auf.

Also kommt es immer wieder zu Straftaten – Drogenbesitz, Diebstahl. Die letzte Verurteilung ist sechs Jahre her. Danach sitzt er im Gefängnis. „Die erste Zeit danach war ich ziemlich clean. Aber dann ging es irgendwann wieder los“, erinnert er sich und berichtet, wie er ohne Wohnsitz und ohne Ausweis und Meldebescheinigung aus dem Gefängnis kam, anfangs keine Sozialleistungen bekommen hat.

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Eine Therapie hat der 51-Jährige nie gemacht. „Es wäre schon ein schönes Leben ohne Drogen. Vielleicht kommt das von selbst eines guten Tages – vielleicht auch nicht“, überlegt er resigniert. Dass eine Therapie ihm helfen könnte, er glaubt es nicht: „Ich hänge da einfach zu tief drin“, sagt er.

Selbst als – als goldene Brücke zu einer Bewährungsstrafe – die Möglichkeit im Raum steht, eine Therapie als Auflage anzuordnen, ringt er mit sich. Der Angeklagte muss einer Therapie zustimmen, damit das Gericht diese Auflage verhängen kann. „Ich möchte es nicht ausschließen“, überlegt der Hattinger. Das reicht nicht. Jetzt müsste er „ja“ sagen.

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So gebrochen er dasitzt, was passiert, versteht er. Er grübelt, scheint sich selbst einen Stoß geben zu wollen. „Es wäre schön, eine Therapie machen zu können.“ Und dann ist er ehrlich zu sich selbst. „Nein, das müssen wir lassen mit der Therapie“, sagt er kleinlaut.

Verteidiger Gregor Hanisch appelliert: Er sei kein bösartiger, ausbeuterischer Dealer, von dem das Strafrecht ausgehe. „Er kann gar nicht abwägen. Seine Gedanken drehen sich nur um die Drogen.“ Gedankenverloren hört der Angeklagte zu. Hanisch betont: „Er ist keine Gefahr für die Gesellschaft.“

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Während Richter und Schöffen im Hinterzimmer beraten, schläft der 51-Jährige auf der Anklagebank ein. Leicht machen sie sich die Entscheidung nicht. Richter Johannes Kimmeskamp überrascht: Es gibt eine einjährige Haftstrafe – mit Bewährung, aber ohne die Auflage zur Therapie. Man habe dem Angeklagten seine Ehrlichkeit angerechnet. „Sie sind krank und haben sich selbst aufgegeben, aber das kann eine Strafe nicht verhindern. Dennoch sind wir ratlos, jemanden wie Sie ins Gefängnis zu schicken.“

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Drei Jahre darf der 51-Jährige keine Straftaten mehr begehen, sonst wird die Bewährung widerrufen. „Ich mache keine Straftaten mehr“, beteuert der Suchtkranke und ist wieder ehrlich: „Das Einzige, was ich mache, ist, dass ich mal bei Kaufland was klaue.“ Alle schweigen.