Hattingen. 120 Mitarbeiter der Stadt Hattingen gehen für höhere Löhne auf die Straße. So unterschiedlich reagieren Bürger auf den Protest und seine Folgen.

Gemischte Reaktionen auf den Warnstreik von Verdi vor dem Treidelbrunnen am Dienstagvormittag: Rund 120 Teilnehmer und einige Zuhörer waren gekommen, um sich die Argumente anzuhören. Einig allerdings waren sich die Befragten nur in einem Punkt: Niemand wollte seinen Nachnamen nennen.

10,5 Prozent mehr oder alternativ 500 Euro pro Monat – mit dieser Forderung geht die Gewerkschaft in die zweite Verhandlungsrunde, die am Mittwoch, 22. Februar, stattfindet. „Die Jecken sagen, am Aschermittwoch ist alles vorbei. Wir sagen, dann fängt es erst an“, erklärte Bettina Schwerdt, stellvertretende Bezirksgeschäftsführerin von Verdi.

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Begründet wird die extrem hohe Forderung mit einer Reihe von Argumenten. Der öffentliche Dienst müsse konkurrenzfähig werden. Das sei er aber nicht, weil die Gehälter mit der Privatwirtschaft nicht mithalten könnten. Außerdem sei die Inflation dermaßen hoch, dass man einen Ausgleich für den Reallohnverlust brauche. Zudem müsse etwas geboten werden, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Auch Bürgermeister Dirk Glaser und Kämmerer Frank Mielke sprachen

Insgesamt geht es um 2,5 Millionen Beschäftigte, die von dem künftigen Tarifabschluss profitieren. „Bis jetzt haben die Arbeitgeber kein Angebot vorgelegt, darüber sind wir absolut sauer. Denn seit Oktober 2022 liegen unsere Forderungen auf dem Tisch.“

Gespräche am Treidelbrunnen: Dort fand die Abschlusskundgebung des Verdi-Warnstreiks statt.
Gespräche am Treidelbrunnen: Dort fand die Abschlusskundgebung des Verdi-Warnstreiks statt. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

Auch Bürgermeister Dirk Glaser und Kämmerer Frank Mielke ergriffen das Wort. „Ich habe Verständnis dafür, dass die Gewerkschaft eine solche Gehaltsforderung stellt, denn die Inflation ist wirklich unvorstellbar hoch“, sagte Glaser.

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Auch dass die Arbeitgeber bisher kein Angebot vorgelegt haben, findet er nicht in Ordnung. „Aber jetzt setze ich meinen Hut als Verwaltungschef auf und muss sagen, dass so eine Tariferhöhung Schwierigkeiten macht. Denn bekanntlich haben die Städte wenig Geld. Die Interessen müssen gut austariert werden.“

Fehlende Fachkräfte für Stadtverwaltungen

Manche Stadtbedienstete kamen in die Altstadt, obwohl sie noch von Rosenmontag verkatert waren, andere haben sich trotz Urlaubs zum Treidelbrunnen begeben, weil sie die Forderungen unterstützen. „Ich bin zwar nicht in der Gewerkschaft, aber ich finde den Anspruch absolut richtig“, sagt Anne. Der Öffentliche Dienst sei tatsächlich nicht konkurrenzfähig, weil die Bezahlung deutlich hinter privaten Firmen her hinke.

„Die Interessen müssen gut austariert werden.“ Bürgermeister Dirk Glaser griff bei der Demo zum Mikrofon.
„Die Interessen müssen gut austariert werden.“ Bürgermeister Dirk Glaser griff bei der Demo zum Mikrofon. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

So sieht es auch Jessica. Die Forderung sei hoch, ja das stimme. Aber der Öffentliche Dienst müsse wirklich etwas tun, denn es fehlten an allen Ecken und Enden Fachkräfte. Auch dieser Streikende hält die 10,5 Prozent mehr Lohn für ausgesprochen richtig „Ich musste 800 Euro an Energie nachzahlen. Wo ich die hernehme, fragt mich ja auch keiner. Von der unglaublich hohen Inflation seit Monaten mal ganz zu schweigen.“

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Selbst Rentnerin Veronika hält die zweistellige Prozentzahl für gerechtfertigt. „Es ist wirklich sehr viel, aber für Familien mit Kindern ist das Leben ja wirklich teurer geworden. Für die finde ich eine kräftige Erhöhung in Ordnung. Wenn man alleine lebt, kann man die enormen Kosten eventuell noch auffangen, aber mit Kindern wird es wirklich schwierig.“

Nicht alle Kitas hatten eine Notbetreuung

Die städtische Kita Blankenstein hat mitgestreikt. Darüber informierte im Auftrag des Elternbeirats Christina Henke. Es gehe den Beteiligten darum, dass aufgrund des Personalmangels der pädagogische Auftrag nicht mehr zufriedenstellend sichergestellt werden könne. Erzieherinnen könnten geplante Fortbildungen nicht wahrnehmen, weil sonst zu wenig Personal am Tag der Veranstaltung für die Betreuung zur Verfügung stehe.

Zudem würde die Zahl der Dokumentationen und Statistiken unverhältnismäßig zunehmen. „Wir Eltern sind mehr als dankbar für die großartige, zuverlässige und kompetente Arbeit, die die Erzieherinnen unserer Kita unter den widrigen Umständen mit vollem Einsatz leisten.“

Laut Stadtverwaltung haben sich 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Streik beteiligt. Sie kamen aus allen Bereichen. Auch Kitas waren betroffen. „Wir haben versucht, eine Notbetreuung zu ermöglichen“, teilt Stadtsprecherin Susanne Wegemann mit. Das sei allerdings nicht überall gelungen.

Gar kein Verständnis für eine solche Gehaltsforderung hatte Inge. „Das ist doch eine unglaubliche Forderung, das kann keiner bezahlen und das kann sich auch keiner leisten. So schiebt man die Inflation doch weiter an, weil dann alles wieder teurer wird“, ärgert sie sich. Unsinnig findet sie auch das Argument der fehlenden Fachkräfte für Stadtverwaltungen. „Es werden doch überall Fachkräfte gesucht. Aber wenn keine da sind, sind da keine. Die kommen ja nicht automatisch, weil Städte mehr bezahlen.“

Erst fehlen Lehrer, dann Bauingenieure, später Pflegekräfte

Zwei Vorschläge hat Inge: Sie fände es ausgesprochen hilfreich, wenn endlich mal weniger Menschen Beamte würden. „Das würde eine Menge Kosten sparen.“ Fatal sei auch, dass seit Jahrzehnten Prognosen für nötige Berufe völlig falschlägen. Sie kennt das aus eigener Erfahrung. „Nach ihrem Studium gab es keine Stellen für Lehrer, später bekamen Bauingenieure keine Arbeit, jetzt fehlen Pflegekräfte.“

>>> Eine Fotostrecke zum Warnstreik in Hattingen finden Sie hier

Viele Bürgerinnen und Bürger kamen auch auf die überbordende Bürokratie in Deutschland zu sprechen. „Wenn sich nicht alle mit immer mehr Dokumentation herumschlagen müssten, dann hätten Arbeitende in allen Bereichen auch mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben und man müsste nicht händeringend ständig neue Mitarbeiter suchen“, betonte Heribert und sprach damit vielen aus der Seele.