Hattingen. Seit 25 Jahren praktiziert Bernd Irle als Hausarzt in Hattingen-Niederwenigern – in zunehmender Sorge um seinen Berufsstand. Das sind die Gründe.
Eigentlich gäbe es für Dr. Bernd Irle in diesen Tagen etwas zu feiern, seit 25 Jahren nämlich praktiziert er inzwischen als Hausarzt in Hattingen-Niederwenigern. Doch bei dem 63-Jährigen überwiegen die Sorgen um seinen Berufsstand: „Die hausärztliche Versorgung auch in Hattingen wird zunehmend problematischer. Und belastender für uns Hausärzte.“
Noch ist die Versorgungslage hier laut Kassenärztlicher Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) zwar „sehr stabil“, beträgt der Versorgungsgrad mit 35,5 Hausärztinnen und Hausärzten fast 110 Prozent. Doch sind zwei von fünf älter als 60 Jahre – sie könnten, wenn sie wollten, sofort in vorgezogene Altersrente gehen, so Irle.
Er managt einen Umbruch in seiner Praxis
Auch Bernd Irle wollte sich eigentlich in absehbarer Zeit zur Ruhe setzen, doch jetzt managt er erst einmal einen Umbruch in seiner Praxis – „mit einem tollen Team, dem ich ,Danke’ für die Zusammenarbeit sage“. Dr. Katrin und Andreas Kramer, mit denen Irle seit acht Jahren auf der früheren geburtshilflichen Station des St. Elisabeth-Krankenhauses eine Gemeinschaftspraxis betreibt, verlassen die Praxis indes zum Jahreswechsel, Allgemeinmediziner Dr. Hendrik von der Haar und eine angehende Allgemeinmedizinerin werden den 63-Jährigen künftig unterstützen. Doch solche Glücksfälle würden weniger, so Irle.
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Die Gründe für den zunehmenden Mangel an niedergelassenen Ärzten der Grundversorgung in Deutschland seien vielschichtig, sagt Bernd Irle. Ein Kernproblem, so der Hattinger, sei auf jeden Fall der große Mangel an Medizinstudienplätzen. Damit teile Irle die Einschätzung der Bundesärztekammer, die im Mai auf dem Bundesärztetag feststellte, dass an den Universitäten bundesweit umgehend 6000 zusätzliche Plätze geschaffen werden müssten, sonst drohe die Qualität der Versorgung über kurz oder lang zu leiden. Laut Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin der Ärztekammer, sei die Zahl der Studienplätze in den letzten 30 Jahren aber nicht einmal konstant geblieben, sondern von etwa 16.000 nach der Wiedervereinigung auf heute rund 11.000 Plätze gesunken.
Nachbesetzung von Kassenarztsitzen wird schwieriger
Auch die Tatsache, dass es mittlerweile einen sehr hohen Anteil an Medizinstudentinnen gebe, die später öfter Teilzeitarbeit und Angestelltentätigkeit der Selbstständigkeit in der eigenen Praxis vorzögen, mache die Nachbesetzung von Kassenarztsitzen schwieriger, sagt Irle.
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Dazu komme eine überbordende Bürokratie, die manche abschrecke. Qualitätsmanagement, verschärfte Datenschutzvorgaben, Codierung von Diagnosen und Prozeduren: „Wenn der letzte Patient, die letzte Patientin meine Praxis verlassen hat“, so Irle, „dann fängt dieser andere Teil meines Arbeitsalltages an – und der macht inzwischen fast 50 Prozent aus.“
Irle: Hausarzte dürfen Patienten nicht mehr bestmöglich versorgen
Und auch das belaste auf Dauer, glaubt Irle: dass Hausarzte ihre Patienten heutzutage nicht mehr bestmöglich versorgen dürften. Mit den Kassen abrechenbare Behandlungen müssten vielmehr vier Aspekte berücksichtigen: Sie müssten wirtschaftlich sein, ausreichend, notwendig und zweckmäßig, so Irle. Was je nach Patientenklientel dazu führen könne, dass ein Hausarzt einem Erkrankten ein für diesen sehr sinnvolles, aber leider teures Medikament entweder verweigern oder dieses aus seinem Umsatz selbst bezahlen müsse. „In solchen Fällen werden Sie von dem Prüfungsausschuss der KVWL und der Krankenkassen nämlich in Regress genommen.“ Diese Ökonomisierung der Medizin sei mitunter schon frustrierend.
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„Hausarzt“, betont Bernd Irle solchen Erfahrungen zum Trotz, „würde ich immer wieder werden. Allerdings wohl in einem anderen System.“
Der drohenden Mangellage jetzt begegnen
Das Gros der künftigen niedergelassenen Allgemeinmediziner werde aber vermutlich auch anders arbeiten als er und viele seiner Kolleginnen und Kollegen, die noch „für alles zuständig“ seien: das Medizinische und das Kaufmännische. Medizinische Versorgungszentren in Form von GmbHs seien vielmehr auch im Hausarztwesen die Zukunft, so Irle. Mit zahlreichen angestellten Allgemeinmedizinern, deren Einsätze eine medizinische Leitung koordiniert. Und mit einer kaufmännischen Leitung fürs Wirtschaftliche.
Der drohenden Mangellage jetzt zu begegnen, sei jedenfalls unabdingbar, so Bernd Irle. „Sonst funktioniert die Hausarzt-Medizin bald nicht mehr.“