Hattingen. Die jüdische Familie Markus wurde im Frühjahr 1942 in das polnische Ghetto Zamosc deportiert. Sieben Jahre später wurden alle vier für tot erklärt.

Es herrscht schönstes Frühlingswetter Ende April des Jahres 1942 in Hattingen. Doch als Alfred und Klara Markus mit ihren Kindern Günther und Inge vom Hof der Gewehrfabrik aus am 28. April zu ihrer „Reise in den Tod“ aufbrechen, einen übervoll beladenen Handkarren hinter sich her ziehend, tragen sie: Wintermäntel. Weil ihnen jemand gesagt hat, dass es im Osten, wohin sie „als Pioniere“ zu gehen glauben, kalt sei? Der letzte Gang der Familie Markus durch Hattingen – über Ruhr­straße, Ruhrbrücke, Bochumer Straße zum ein Kilometer ent­fernten Bahnhof, von wo aus sie mit weiteren ins polnische Ghetto Zamosc deportiert werden – vollzieht sich in aller Öffentlichkeit. „Und niemand“, fragt Stadtarchivar Thomas Weiß, „hat etwas gewusst . . .?“

Die Vorfahren der Familie Markus waren schon seit den 1820er Jahren in Hattingen ansässig. Alfred Markus, geboren 1894, arbeitete seit Mai 1920 als Schlosser im Zentralkesselhaus der Henrichs­hütte. Monatlich 200 Reichsmark verdient er – genug für ein gesichertes Auskommen. Zusammen mit seiner zwei Jahre jüngeren Frau Klara richtet er sich in der Bahnhofstraße 7 (heute: „Westfälischer Hof“) bald eine eigene Wohnung ein. Doch als zehn Jahre nach der Geburt Günthers im November 1931 Nesthäkchen Inge zur Welt kommt, reicht der Platz für die Familie nicht mehr aus.

Haus wurde 1980 abgerissen

Aber geeigneten Wohnraum zu bekommen, wird für Juden unter der Nazi-Diktatur zunehmend schwerer; einmal, als die Familie Markus droht, obdachlos zu werden, werden ihr zum 1. Juli 1939 zwei Zimmer im Haus des jüdischen Zahnarzt-Ehepaares Markes auf der Bahnhofstraße 6 zugewiesen. An der Stelle des im Jahr 1980 abgerissenen Gebäudes erinnert von nun an ein Stolperstein an ihr schreckliches Schicksal.

Doch nicht die Wohnverhältnisse, vor allem das angstbehaftete Klima und die fast aussichtslosen Zukunftschancen ihrer Kinder belasten Alfred und Klara Markus. Günther, der nach der Volksschule im August 1935 nach wenigen Wochen aus der hiesigen Flanschenfabrik entlassen wird – „aus naheliegenden Gründen“, wie es in den Dokumenten heißt –, findet erst nach intensiven Bemühungen eine Lehrstelle – ein Jahr später. Die kleine Schwester Inge wird im November 1938 aus der evangelischen Schule geworfen, darf erst im Mai 1939 wieder lernen: an der jüdischen Volksschule in Bochum.

Zu diesem Zeitpunkt hat Alfred Markus seine Arbeit auf der Hütte bereits verloren. Während er und sein Sohn sich Ende 1938 in „Schutzhaft“ in Sachsenhausen befinden, wird ihm gekündigt. Nach der Rückkehr aus dem Konzentrationslager kann er sich ab Anfang 1939 gerade noch als Gelegenheitsarbeiter verdingen.

Im Sommer 1941 zieht die Familie Markus auf Anordnung der Stadt in die alte Gewehrfabrik – Günther ist inzwischen aus seiner im Juni 1940 in Ahrensdorf begonnenen Hachschara, der Vorbereitungszeit zur Auswanderung nach Palästina, zurückgekehrt. Aus ihrer heruntergekommenen Zwei-Zimmer-Wohnung im Judenghetto an der Ruhrstraße 8 treten Alfred, Klara, Günther und Inge am 28. April 1942 ihre Reise in den Tod an, werden sie ins polnische Ghetto Zamosc deportiert. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. Im Dezember 1949 erklärt das Amtsgericht Hattingen alle vier für tot.

Den Erlös der Sachen, die die Familie Markus in der Gewehrfabrik zurücklassen musste – 257,80 Reichsmark – hatten die Nazis bereits im Juni 1942 bei der örtlichen Finanzkasse eingezahlt.