Beim Auftritt von Sahra Wagenknecht (Die Linke) im Gymnasium Waldstraße prallten die Fronten aufeinander.
Die Junge Union ist in Aufregung. Die Mauer ist noch nicht da. Und jeden Moment könnte Sahra Wagenknecht eintreffen. Wer das nur organisiert hat, fragt jemand. Die Demonstranten schieben das Problem nach hinten. Jetzt ist Geschlossenheit wichtig.
Junge Union und Junge Liberale stehen auf dem Schulhof. Sie fangen jeden Gast ab, der die Veranstaltung mit der Linkspolitikerin besuchen will. „Jeder Extremist ist Mist“, steht auf den Handzetteln.
Die Polizei beobachtet das Treiben aufmerksam. Die Veranstaltung, zu der die Linkspartei eingeladen hatte, sorgte schließlich schon im Vorfeld für Unruhe. JU und JuLis forderten das Verbot der Veranstaltung. Ratsherr Bernd Zielmann (Die Linke) beschimpfte die Kritiker als „von der Leine gelassenen Jungmob“.
Lars Lubisch (JU) sucht das Gespräch und gerät dabei mit Jakobus Fröhlich (MLPD) aneinander. Lubisch kritisiert Wagenknecht für ihre Nähe zum DDR-System. Das hält Fröhlich nicht grundsätzlich für kritikwürdig: „Die DDR war richtig nach dem Krieg. Im Grunde ist sie eine Sozialdemokratie gewesen.“
Dann kommt endlich die Mauer. Das heiß erwartete Stück ist in Wirklichkeit nur ein Transparent. Es zeigt zwei Meter der Berliner Mauer.
Wagenknecht bekommt das Plakat nicht zu sehen. Sie ist bereits in der Aula. Sie habe den anderen Eingang genommen, sagen die Veranstalter. „Sie musste noch aufs Klo.“
Die Diskussion geht draußen weiter. Die Demonstranten formieren sich und brüllen im Chor: „Nie wieder SED.“ Der linke Karl-Heinz-Tillert hält gestikulierend dagegen: „Eure Parteivorsitzende war doch jahrelang selbst SED-Funktionärin“, schießt er gegen Merkel.
Der Chor wechselt zu „Wir sind das Volk.“ Die Demonstranten wollen in die Aula. Sie platzen in die Begrüßungsworte der 40-jährigen ehemaligen Europaparlamentarierin, die vor gut 80 Zuhörern steht. Die Linke reagiert, indem sie zunächst die Tür verrammelt. Jemand steht auf und fordert: „Meinungsfreiheit für alle.“
Der Ortsvereinsvorsitzende Christian Preuß stürmt nach hinten und nimmt den Mann mit zwei anderen in die Zange. „Ich will diese Leute nicht hier haben“, raunzt Preuß, der auch Versammlungsleiter ist. Der Kritiker wird mit festem Griff nach draußen befördert. Jemand schlägt nach der Kamera. Die Linken streiten jetzt untereinander.
Im Saal bricht ein Tumult aus. Stefan Kietz-Borgwardt (Ratsherr der Grünen) steht auf und ruft etwas von Rosa Luxemburg und „Freiheit der Andersdenkenden“. Was er genau sagt, geht in den Diskussionen unter. Kietz-Borgwardt und andere Gäste verlassen aus Protest den Saal. Es folgen Beleidigungen wie Vollidiot trifft Kapitalistenschwein.
Sahra Wagenknechts Vortrag gerät fast zur Nebensache. Die gebürtige Berlinerin geht nur kurz auf die Kritiker ein. „Wir haben die besseren Argumente.“ Sie spricht von der „Agenda-2010-Mafia“, erntet Applaus für das „Sozialverbrechen Hartz IV“ und wettert gegen das „Diktat der Rendite“. Auf eine kritische Nachfrage entgegnet sie: „Ich will nicht die DDR wiederhaben.“
Bei der Diskussion kommen auch Kritiker zu Wort. Frauen werden bevorzugt drangenommen. Es meldet sich nur keine. Als sich dann doch zwei melden, lässt Preuß alle anwesenden Frauen abstimmen, ob nicht zwei Männer, die sich schon länger gemeldet hatten, ausnahmsweise vorrücken dürfen. Der Antrag scheitert.
Um 20.40 Uhr ist plötzlich Schluss. Sahra Wagenknecht muss weg. Sie nimmt wieder den Hinterausgang.