Hattingen. Hunderte von Gas- und Stromkunden in Hattingen bekamen die Energie sehr preiswert geliefert. Was dann geschah.

Böses Erwachen für mehrere hundert Haushalte in Hattingen: Sie hatten Strom, Gas oder auch beides von Billiganbietern bezogen. Die Lieferanten haben von einem Tag auf den anderen die Verträge gekündigt, die Kunden landeten in einer erheblich teureren Grundversorgung.

Hohe Kosten für den Einkauf zusätzlicher Energie

Fast 300 Kunden beziehen seit kurzem das Gas nicht mehr von dem Unternehmen gas.de, sondern von den Stadtwerken. 512 Haushalten sowie kleineren Gewerbetreibenden liefert die AVU (Aktiengesellschaft für Versorgungsunternehmen) inzwischen den Strom. Vorher war die Firma Stromio ihr Anbieter. Die örtlichen Versorger sind verpflichtet, die Haushalte zu übernehmen, wenn der Anbieter seinen Dienst quittiert oder pleite geht. Sowohl bei dem einen wie dem anderen Energieträger müssen die Haushalte nun kräftig draufzahlen: Die Tarife sind in etwa doppelt so hoch wie für Bestandskunden.

Lars Tellmann, Geschäftsführer der Stadtwerke Hattingen: Mussten zu Höchstpreisen einkaufen.
Lars Tellmann, Geschäftsführer der Stadtwerke Hattingen: Mussten zu Höchstpreisen einkaufen. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

Nun herrscht eigentlich unter Versorgern ein scharfer Preiskampf. Um zusätzliche Kunden zu gewinnen, unterbieten sie sich gegenseitig. Warum die Stadtwerke stattdessen einen saftigen Aufschlag verlangen, begründet Geschäftsführer Lars Tellmann wie folgt: „Wir haben das Gas für die Neukunden, die unerwartet in die Ersatzversorgung fallen, nicht vorausschauend in den letzten Jahren - wie für Bestandskunden - einkaufen können, sondern müssen es jetzt zu Höchstpreisen hinzukaufen.“

Diese Mehrausgaben wollen die Stadtwerke aber den Aussagen von Tellmann zufolge nicht der Stammkundschaft aufbürden, sondern „verursachergerecht“ und damit den Verbrauchern, für die die Energie zusätzlich beschafft werden musste.

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Ähnlich argumentiert auch AVU-Pressesprecher Jörg Prostka. Er hebt auf die aktuelle Lage auf den Energiemärkten ab, weitere Mengen könne man nur zu enorm hohen Preisen bekommen. Beobachter der Branche sprechen von einer regelrechten Preisexplosion, Strom und Gas sei bis zu 170 Prozent teurer geworden. Wie die Stadtwerke sieht sich auch die AVU den „treuen Kunden verpflichtet“ und hat die Tarife für der bisherigen Nutzer von Billiganbietern hochgeschraubt.

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Inzwischen Sondertarife für Neukunden geschaffen

Allerdings sind beide Unternehmen inzwischen dazu übergegangen, einen Sondertarif zu schaffen, um die Belastung ein wenig abzufedern. Den können die Betroffenen annehmen, müssen sie aber nicht. Verpflichtend ist nämlich bei dem Stromlieferant eine zweijährige Bindung, die Konditionen sind etwas günstiger als in der Grundversorgung. Ein Wechsel zu einem preiswerteren Anbieter ist während der beiden Jahre nicht möglich. Die Haushalte haben in den vergangenen Wochen entsprechende Angebote per Post bekommen, berichtet Prostka. Bei den Stadtwerken haben bereits viele ehemalige gas.de-Kunden von einem Sondertarif Gebrauch gemacht, erklärt Geschäftsführer Tellmann.

Udo Sieverding, Energieexperte der NRW-Verbraucherzentrale, bei der sich viele Betroffene gemeldet haben, sieht die Tarifgestaltung äußerst kritisch. Die Verbraucher seien unverschuldet in die missliche Lage geschlittert. Nun müssten sie aber dafür draufzahlen. Doch nicht nur in Hattingen würden die Haushalte mit hohen Abgaben zur Kasse gebeten, sondern auch in vielen anderen Städten. Die Verbraucherzentrale NRW sieht darin eine Ungleichbehandlung und will nun gegen ein solches Vorgehen von Stadtwerken juristische Mittel einzulegen.

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