Hattingen. Wie erleben Jugendliche Corona? Welche Auswirkungen hat es auf ihre Zukunft? Zehntklässlerinnen der Realschule Grünstraße in Hattingen erzählen.
Nur noch wenige Wochen, dann werden Jessica, Julina, Leonie, Letizia, Nele und Nina Mijou ihren Realschulabschluss in der Tasche haben. Und dann? Wie geht es weiter für die sechs Schülerinnen der 10b der Realschule Grünstraße? Ein Gespräch über Zukunftsplanung in Zeiten der Corona-Pandemie.
Jessica wird nach den Sommerferien auf die Gesamtschule in Welper wechseln, ebenso wie Nina Mojou. Die beiden 15-Jährigen wollen Abitur machen, die eine möchte danach Psychologin werden, die andere Polizistin.
Auch Julina wird nach den Sommerferien weiter zur Schule gehen, künftig das Alice-Salomon-Berufskolleg für Ernährung, Erziehung und Gesundheit in Bochum besuchen. „Später einmal als Physiotherapeutin zu arbeiten oder auch als Orthopädie-Mechanikerin könnte ich mir dabei vorstellen.“ Ob einer dieser Berufe tatsächlich zu ihr passt, hofft sie, demnächst durch Praktika herauszufinden, „aufgrund von Corona ist das zurzeit ja eher schwierig“.
„Es ist krass, dass winzig kleine Mikro-Organismen so viel durcheinanderbringen können. Aber man findet seinen Weg – auch wenn es komplizierter als sonst ist.“ Julina Scholz (15)
Ein erstes Schülerbetriebspraktikum zu Beginn des zweiten Halbjahres der Jahrgangsstufe 9, immerhin, haben sie und ihre Mitschülerinnen noch absolvieren können, im Februar 2020 – für drei der sechs Mädchen war es die Grundlage für ihre spätere Berufswahl. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie aber wurde vieles für sie erst einmal ungewiss. Zudem mussten die 15- und 16-Jährigen vieles ganz neu lernen: nicht nur mit weitgehendem Kontaktverzicht klarzukommen, sondern auch, sich im Distanzunterricht selbst zu motivieren, den Alltag eigenständig zu strukturieren. Schwierig sei das gewesen, gestehen alle, doch inzwischen kämen sie zurecht damit.
„Die Corona-Pandemie hat mir sehr geholfen, selbstständig und zielstrebig den Unterrichtsstoff zu bewältigen.“ Letizia Schmidt (16)
Natürlich hat Corona ihr Leben dabei auch schulisch mächtig durcheinandergewirbelt, nicht aber ihnen ihre Zukunft verbaut, betonen Jessica, Julina, Leonie, Letizia, Nele und Nina Mijou.
„Corona hat für uns Schüler viele Schwierigkeiten mit sich gebracht, doch mithilfe von digitalen Hilfsmitteln konnten wir unsere Zukunft so planen, wie wir sie auch normal geplant hätten.“
Nina Mijou Witt (15)
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Gut, Nele hätte sich zwar auch vorstellen können, weiter zur Schule zu gehen. Aber weil sie nicht weg aus Hattingen und mit der Mutter in eine andere Stadt umziehen wollte, entschied sie sich für eine Lehre, in der sie auch etwas Geld verdienen kann. Eine Ausbildung zur Pflegefachfrau im Evangelischen Krankenhaus, wo sie bereits ein Praktikum absolviert hat, beginnt sie nun im August. Wenn Corona nicht wäre, wäre sie alternativ vielleicht auch Bestatterin geworden, „das hätte mich auch interessiert, aber wegen der Pandemie war ein Praktikum, um in diesen Beruf einmal hineinzuschnuppern, leider nicht möglich“.
Mit nur einer Bewerbung – ebenfalls infolge eines Praktikums - hat auch Letizia eine Lehrstelle bekommen, sie fängt nach der Schule beim Finanzamt in Hattingen ihre Ausbildung zur Finanzwirtin an. Fast hätte sie mit einer Zusage dabei gar nicht mehr gerechnet. Denn diese kam erst nach sieben Monaten, Ende Januar. Und war zudem mit dem Zusatz versehen: „Vorausgesetzt, die Noten in Deutsch und Mathe werden nicht schlechter.“ Wovon sie damals, während des Distanzunterrichts, noch nicht so überzeugt gewesen sei wie inzwischen, so Letizia.
Über die Realschule Grünstraße
Die Realschule Grünstraße – Hattingens erste und inzwischen auch einzige Realschule – ist seit dem 31. Januar 1964 offiziell an der Grünstraße 27-29 zu Hause.
Im Jahr 2016 sprach sich der Rat der Stadt Hattingen zwar für einen Umzug zum Schulzentrum Holthausen aus. Doch erst verschob sich der geplante Umzugstermin Sommer 2020, dann betonte der im Frühjahr 2020 vorgestellte Schulentwicklungsplan, im Schulzentrum sei für die Realschule zu wenig Platz, auch die Parteien sprachen sich im Vorfeld der Kommunalwahlen 2020 für den Verbleib der Schule am jetzigen Standort aus. Am 8. Oktober 2020 schließlich hob der Rat den Beschluss zum Umzug der Realschule zum Schulzentrum auf.
Die Realschule Grünstraße bietet verschiedene Profilzweige an – darunter seit 2001 eine bilinguale Klasse in Englisch, die auch die befragten Schülerinnen der 10b besuchen.
Auch Leonie hat einen Ausbildungsplatz sicher, zur Kauffrau im Gesundheitswesen. Nach mehr als 30 Bewerbungen und zehn Online-Einstellungstests hat sie sich bei der Techniker-Krankenkasse in Essen u.a. gegen etliche Abiturienten durchgesetzt. „Gewöhnungsbedürftig“ seien diese Tests gewesen, ganz allein vorm PC, gesteht sie, aber am Ende ja erfolgreich.
„Wenn man trotz Corona positiv bleibt, wird man es schaffen, sein eigentliches Ziel fokussiert im Blick zu behalten.“ Leonie Deninno (16)
Schwierige Phasen hat Corona für die Mädchen dennoch mit sich gebracht. Dass sie nach dem ersten Lockdown im März 2020 Zweifel hatten, überhaupt ihren Realschulabschluss machen zu können, gesteht etwa Nina Mijou. „Ich hatte Zweifel, ob wir nicht zu viel Stoff versäumt haben.“ Leonie und Nele sehen das ähnlich. Das Virus, schiebt Letizia ein, „ist zwischenzeitlich ganz schön auf die mentale Gesundheit gegangen.“ Und Nele sagt, es habe bei einigen sogar Schaden im sozialen Bereich angerichtet.
„Manches war und ist in der Corona-Pandemie schwierig, wie zum Beispiel die Pflege meiner Kontakte. Aber auch, wenn einem mal alles über den Kopf wächst, versucht man, das Beste daraus zu machen.“ Nele Ipsen (16)
Und doch mögen sie sich nicht bedauern, nicht einmal schimpfen über ein Virus, das viel verändert hat in dieser Gesellschaft. Viel schlimmer als sie sei der Distanzunterricht für die Jüngeren gewesen. Für Leonies Bruder in der Sieben etwa, der sich Prozentrechnen nun selbst beibringen sollte. Oder für Jessicas kleinen Bruder, einen Zweitklässler, der nach wochenlangem Lernen in Distanz plötzlich keine Lust mehr hatte auf Schule. Sie dagegen, zieht Jessica ein bemerkenswertes Fazit für ihre Altersgruppe, habe Corona letztlich gestärkt – fürs Leben.
„Mache deine Laune und deinen Weg nicht von Corona abhängig. Verfolge deine Ziele weiterhin, denn das, was du dir vornimmst, schaffst du auch!“ Jessica Frontzek (15)
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