Hattingen. Eine Pharmafirma hat Arbeitnehmervertretern Hausverbot erteilt, weil Fahrer Kontakt zu Corona-Risikopersonen haben. Das Gericht sieht das anders.

Beim Arbeitsgericht Hagen hat jetzt der erste Prozess mit Corona-Bezug stattgefunden: Der Fall spielt bei einem pharmazeutischen Unternehmen aus Hattingen.

Dort hatte der gesamte Betriebsrat ein Hausverbot erhalten, begründet mit der Sorge vor dem Coronavirus. Doch im Eilverfahren wurde jetzt entschieden: Die Firma muss dem Gremium zur Ausübung der Betriebsratstätigkeit den Zutritt gestatten.

Im Gewerbegebiet Beuler Höhe befindet sich der Hauptsitz der Firma „GTI medicare“. Das Unternehmen beliefert bundesweit Kliniken, Pflegeeinrichtungen, den Sanitätshandel und das Rettungswesen mit Sauerstoff. Auch die Versorgung von mehr als 3000 lungenkranken Patienten, die Druckgasflaschen oder als Flüssigsauerstoff von firmeneigenen Fahrern ins Haus gebracht bekommen, gehört zu den Tätigkeiten.

„Das Kritische sind für uns die Fahrer“

Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie ein heikles Aufgabengebiet, das strenge Sicherheitsvorkehrungen sowohl im Betrieb, als auch besondere Vorsichtsmaßnahmen gegenüber den zu schützenden Risikopatienten erfordert. „Das Kritische sind für uns die Fahrer“, erläuterte der Personalleiter von vor dem Arbeitsgericht, „wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass sie womöglich infektiös die Patienten beliefern.“

Das wäre für das Unternehmen der Super-Gau. Deshalb liege für alle zehn Firmenstandorte ein Notfallplan vor, der neben den üblichen Hygienemaßnahmen auch eine Gebäude-Segmentierung vorsieht: Allen Mitarbeitern sei es strengstens untersagt, sich während der Arbeit außerhalb der eigenen Abteilung aufzuhalten.

Doch wie wirkt sich dieses Verbot auf die Tätigkeit des Betriebsrats aus? Der besteht aus sechs Mitgliedern und einem Ersatzmitglied aus verschiedenen Abteilungen, darunter auch Auslieferungsfahrer mit direktem Patientenkontakt. Die strikte Einhaltung der Pflicht zur Segmentierung würde eine ordentliche Betriebsratssitzung in der Praxis unmöglich machen.

„Die Existenz unseres Unternehmens steht auf der Kippe“

Der Konflikt: Obwohl alle Betriebsratsmitglieder versichern, niemand von ihnen habe Anzeichen einer Corona-Infektion und alle hätten bei ihren Zusammenkünften stets alle Sicherheitsmaßnahmen beachtet („Wir haben uns nicht mal begrüßt“), reichte das dem „GTI medicare“-Personalchef nicht: „Die Existenz unseres Unternehmens steht auf der Kippe, wenn uns eine Behörde aufgrund eines Corona-Falles dicht macht. Deshalb bestehen wir darauf, dass die Segmentierung eingehalten wird.“

Am 26. März griff der Personalchef zu einer rigorosen Maßnahme: Er ordnete für alle Mitglieder des Hattinger Betriebsrats die Durchführung eines Corona-Tests an und erteilte ihnen zeitgleich ein Hausverbot. Darüber wurde auch die gesamte Belegschaft (rund 70 Beschäftigte) schriftlich informiert, was unter den ausgesperrten Betroffenen zu erheblicher Verärgerung führte. Durch das Hausverbot wolle es der Arbeitgeber schaffen, den Betriebsrat „quasi stumm zu stellen“.

Entscheidung per Einstweiliger Verfügung

Bei „GTI medicare“ sieht man das anders: Es gehe nicht darum, die Betriebsratsarbeit zu verhindern, sondern um die Durchsetzung der kontaktmindernden Maßnahmen.

Die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Hagen unter Vorsitz von Richter Michael Seidel sah das anders und entschied per Einstweiliger Verfügung: Der Betriebsrat von „GTI medicare“ habe ein Zutrittsrecht zum Betrieb. Die Firma sei verpflichtet, den Betriebsratsmitgliedern zum Zwecke der Ausübung ihres Amtes den Zutritt zu gewähren.

Recht auf ungestörte Amtsausübung

Trotz des gegenwärtig verständlichen Notfallplans behindere der Arbeitgeber die Ausübung der Betriebsratstätigkeit in unrechtmäßiger Weise. Nach Paragraf 78 Betriebsverfassungsgesetz dürfe ein Betriebsrat an der Ausübung seiner Tätigkeit aber nicht gestört oder behindert werden. Und aus dem Recht auf ungestörte Amtsausübung folge auch ein Recht auf den Zutritt zum Betrieb. (Az. 5 BV Ga 2/20).