Hattingen. Die Corona-Pandemie sorgt auch in Hattingen für viele Sorgen. Das raten Birgit Knatz von der Telefonseelsorge und Psychologin Iris Reichetseder
Die Telefonseelsorgen im Ruhrgebiet sind durch die Corona-Krise gefragter denn je - auch die für Hattingen zuständige. Ebenso nachgefragt ist psychologische Beratung in diesen Tagen. Birgit Knatz von der Telefonseelsorge Hagen-Mark und die Hattinger Psychologin Iris Reichetseder geben Tipps zum Verhalten in der Krise.
50 Prozent mehr Anrufe als an normalen Tagen gibt es laut Bistum Essen bei den Telefonseelsorgen, zudem deutlich mehr Anfragen per Mail und Chat. „Es ist total krass, was wir jetzt erleben“, sagt Birgit Knatz, die stellvertretende Leiterin der Telefonseelsorge Hagen-Mark. „Vorvergangene Woche drehten sich um die 25 bis 30 Prozent der Anfragen um das Virus, ab dem vergangenen Montag wurde es kontinuierlich mehr. Mittlerweile drehen sich fast 70 Prozent der Anrufe um Corona.“
Wer das Gespräch sucht, kann besser mit seiner Angst umgehen
Wer in Dialog tritt, geht dabei der Angst zwar nicht aus dem Weg, "aber dadurch kann man besser mit ihr umgehen, erklärt Knatz den Effekt der Kontaktaufnahme zur Telefonseelsorge.
Sie nutzt dafür das Bild des Scheinriesen "Herr Tur Tur", einer Figur aus der Augsburger Puppenkiste. Herr Tur Tur sieht aus der Ferne riesig und furchteinflößend aus. Als Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, ihn dann aus der Nähe betrachten, hat er aber eine normale Körpergröße und macht ihnen keine Angst mehr.
Die Seele wird entlastet
Ähnlich sei der Effekt bei einer Kontaktaufnahme mit der Telefonseelsorge: Durch einen Anruf oder eine Mail gehe die Angst infolge der Corona-Krise zwar nicht weg, aber die Sorgen fänden Raum und die Seele werde entlastet.
Wichtig ist die Einhaltung einer Tagesstruktur
Auch die Hattinger Diplom-Psychologin Iris Reichetseder rät dazu, über Ängste, Frust und Langeweile zu sprechen. Außerdem macht sie auf die Bedeutung der Einhaltung einer Tagesstruktur aufmerksam. „Struktur gibt uns Halt und tut der Psyche gut.“ Wer jetzt von zuhause aus arbeitet, sollte nicht im Schlafanzug am Schreibtisch sitzen - und Pausen einhalten. „Selbstdisziplin spielt da eine große Rolle“, so die Psychologin.
Familien, WGs und Paare sollten angesichts der neuen Nähe neue Regeln besprechen
Für Familien, WGs und Paare sei es angesichts der neuen Nähe vielleicht sinnvoll, neue Regeln zu besprechen. Dazu gehört zum Beispiel, die Kinder bei der Hausarbeit einzubeziehen und auch Verhaltensregeln beim Streit vorab zu vereinbaren. „Man kann sich ja jetzt nicht so leicht aus dem Weg gehen“, gibt Reichetseder zu bedenken. Vorher sollte schon ein Stopp-Signal abgesprochen werden, das den Streit eine gewisse Zeit unterbricht.
Wichtig sei außerdem, gemeinsam über die Zeit nach der Ausnahmesituation zu sprechen, um Zukunftsperspektiven aufzuzeigen und zu erkennen, dass die jetzige Situation nur eine Phase ist.
Nicht öfter als ein bis zwei Mal täglich über Corona informieren
Ein weiterer wichtiger Hinweis der Expertin ist außerdem, sich nicht öfter als ein bis zwei Mal täglich über Corona zu informieren. „Der permanente Beschuss ist nicht gut. Vor allem vor dem Schlafengehen sollte man solche Nachrichten meiden. Die Bilder nimmt man sonst mit in den Schlaf.“
Bevor das öffentliche Leben weitgehend heruntergefahren wurde, besorgte die Anrufenden vor allem die drohende Vereinsamung und die Erkrankung an sich. Mittlerweile seien die Sorgen konkreter. „Bei uns kann man die Aktualität von Themen, die die Menschen umtreiben, gut verfolgen“, so Reichetseder. In der Regel sei es so, dass bei den Gesprächen Themen angesprochen würden, die sonst tabuisiert seien. Das seit mit Corona anders, schließlich sei es „das“ beherrschende Thema derzeit.
Wer bei der Telefonseelsorge alles anruft
Bei der Telefonseelsorge melden sich Eltern von Ärzten, die sich um ihre Kinder sorgen, Selbstständige mit Existenzängsten, eine junge Frau, die ihren Vater im allerkleinsten Familienkreis beerdigen musste, weil die neuen Auflagen es so verlangen. Und eine Tierschützerin kontaktierte schockiert die Seelsorgerinnen, weil immer mehr Menschen ihre Haustiere abgeben - aus Angst, sie nicht mehr versorgen zu können.
Die Telefonseelsorge ist unter 0800- 111 0 111 erreichbar. Unter der Webadresse „https://online.telefonseelsorge.de/“ kann man sich auch per Chat oder Mail beraten lassen.